Baustelle von oben
Zur Sphäre des Auftragnehmers zählt die Erbringung der zugesagten Leistungen in vereinbarter Zeit, an vereinbartem Ort und zu vereinbartem Preis, mit welchen Mitteln auch immer. Somit trägt der Auftragnehmer das Risiko für den technischen Ablauf des Betriebs, das Kalkulationsrisiko, Baumaschinen und Baugeräte, Zufuhr von Rohstoffen, aber auch für Arbeitskräfte, Kosten für Arbeit, Material und Fremdleistungen.
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Die Baustellen am Bau

Österreichs Bauwirtschaft erlitt zunächst aufgrund von pandemiebedingten Ausgangsbeschränkungen einen kurzen Einschnitt, zeigte sich aber in der Folge als Konjunkturmotor. Seit einiger Zeit hat die Branche jedoch aufgrund von COVID-19 und dem Ukraine-Krieg samt den Sanktionen gegen Russland mit erheblichen Preissteigerungen, Lieferengpässen und Materialknappheit bei Rohstoffen und Baumaterialien zu kämpfen.

Turbulenzen bei Preisen und Lieferketten treffen sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer und führen für Auftragnehmer trotz guter Auftragslage dazu, dass diese über Kurzarbeit und Vertragsauflösungen nachdenken, während Auftraggeber Bauprojekte aus einem anderen Zeitpunkt verschieben wollen.

Wie sind COVID-19 und der Ukraine-Krieg einzuordnen?

Höhere Gewalt ist ein von außen her einwirkendes außergewöhnliches Ereignis, das nicht in einer gewissen Regelmäßigkeit vorkommt bzw zu erwarten ist und selbst durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann. Unabwendbar ist aber auch jedes nicht außergewöhnliche Ereignis, das trotz aller erdenklichen Sachkunde und Vorsicht nicht abgewendet werden kann.

Somit handelt es sich um Ereignisse, die weder der Auftraggeber noch der Auftragnehmer vorsehen oder abwenden konnten, die aber die Leistung im engeren Sinn (das jeweilige Bauvorhaben) üblicherweise nicht verändern. 

Nach der bisherigen Rechtsprechung des OGH in Bestandsachen zu Mietzinsminderung bzw. -entfall nach § 1104 ABGB sind COVID-19 und damit im Zusammenhang stehende Betretungsverbote als höhere Gewalt zu qualifizieren. Diese Rechtsprechung kann aber nur insofern auf die Bauwirtschaft übertragen werden, dass davon Verträge, die vor Auftreten von COVID-19 bzw. Erklärung zur Pandemie oder dem ersten Lockdown mit 16.03.2020, betroffen sind. Je „später“ nach dem Auftreten von COVID-19 bzw. staatlichen Maßnahmen ein Vertrag geschlossen wurde, desto unwahrscheinlicher ist es, dass COVID-19 als höhere Gewalt zu qualifizieren ist.

Laut OGH können auch Kriege bzw. eine nach Vertragsschluss unerwartet auftretende akute Kriegsgefahr oder bei Vertragsschluss nicht voraussehbare bürgerkriegsähnliche Zustände grundsätzlich als höhere Gewalt angesehen werden. Ebenso können unerwartet verhängte Sanktionen, wie die derzeitigen Handelsbeschränkungen und Probleme beim Geldtransfer, höhere Gewalt sein.

Zum Bauwerkvertrag

Die Hauptleistungspflichten eines Bauwerkvertrags sind einerseits die vertragliche Zusage des Auftragnehmers, eine bestimmte Leistung bis zu einer bestimmten Zeit zu einem bestimmten Preis zu erbringen, andererseits die vertragliche Verpflichtung des Auftraggebers, diese Leistung nach Erbringung entsprechend zu bezahlen.

Grundsätzlich kann man verschiedene Arten von Bauwerkverträgen unterscheiden, insbesondere den Werkvertrag nach dem ABGB, den Vertrag nach der ÖNORM B 2110 und den Individualvertrag (meist eine Mischform zwischen ABGB und ÖNORM B 2110).

Das Entgelt beim Bauwerkvertrag wird üblicherweise nach dem sogenannten Einheitspreis berechnet oder nach einem Pauschalpreis. Beim Einheitspreisvertrag ist nochmals zu unterscheiden zwischen dem Festpreis und dem veränderlichen Preis. Festpreis ist ein Preis, der auch beim Eintreten von Änderungen der Preisgrundlagen für den vereinbarten Zeitraum unveränderlich bleibt; nach einem gewissen Zeitraum wird üblicherweise nach veränderlichen Preisen abgerechnet. Ein veränderlicher Preis bedeutet, dass bei Änderung von vereinbarten Grundlagen unter bestimmten Voraussetzungen der Preis angepasst wird.

Zur Sphärenzuteilung nach ABGB und ÖNORM B 2110

Die Sphärenzuteilung bestimmt, dass ein gewisses mögliches Risiko von einer der beiden Vertragsparteien getragen wird. Dabei kann auch ein sogenanntes gemeinsames Risiko vereinbart werden. Die Vereinbarung der Sphärenzuteilung erfolgt grundsätzlich frei nach der Privatautonomie.

Nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zählen zur Sphäre des Auftraggebers „Umstände auf Seiten des Bestellers“, damit sind gemeint z. B. der Baugrund, Beistellungen (Vorleistungen anderer Auftragnehmer, Pläne), Anordnungen bzw. Leistungsänderungen.

Zur Sphäre des Auftragnehmers zählt die Erbringung der zugesagten Leistungen in vereinbarter Zeit, an vereinbartem Ort und zu vereinbartem Preis, mit welchen Mitteln auch immer. Somit trägt der Auftragnehmer das Risiko für den technischen Ablauf des Betriebs, das Kalkulationsrisiko, Baumaschinen und Baugeräte, Zufuhr von Rohstoffen, aber auch für Arbeitskräfte, Kosten für Arbeit, Material und Fremdleistungen.

Es besteht schließlich auch die „neutrale“ Sphäre, zu der Ereignisse außerhalb des Einflussbereichs der Vertragsparteien zählen, demnach also höhere Gewalt (Ereignis von außerhalb; z. B. Naturkatastrophen, Pandemie, Krieg); auch die „neutrale“ Sphäre gehört nach den gesetzlichen Regelungen zum Risiko des Auftragnehmers

Nach der ÖNORM B 2110 zählen zur Sphäre des Auftraggebers von ihm beeinflussbare oder vorgegebene Inhalte bzw. Umstände (z. B. Baugrund, Beistellungen, Anordnungen) als auch unvorhersehbare und für den Auftragnehmer zumutbar unabwendbare Ereignisse. Grundsätzlich zählt nach der ÖNORM B 2110 somit höhere Gewalt zum Risiko des Auftraggebers.

Allerdings trifft den Auftragnehmer das Kalkulations- und Dispositionsrisiko, sodass das „Wie“ (mit welchen Kosten, mit welchen Ressourcen, auf welchem Weg) zur Erbringung der vereinbarten Leistung rechtzeitig und zum vereinbarten Preis im Risikobereich des Auftragnehmers liegt.

Daher stellt sich die Frage, wie diese Bestimmungen der ÖNORM B 2110 in Einklang zu bringen sind, insbesondere sind Preissteigerungen und Lieferkettenstörungen keine „direkten“ Folgen von COVID-19 (wie Erkrankungen), sondern durch gesamtwirtschaftliche Aspekte oder die Auslagerung von Produktionsstandorten erfolgen. 

Zu dieser Problematik bestehen in der Literatur zahlreiche Auslegungsvarianten, die durchaus mit guten Argumenten vertreten werden können (z. B. trägt der Auftraggeber auch nicht das Insolvenzrisiko eines Subunternehmers des Auftragnehmers und daher auch nicht die Mehrkosten, wenn der Auftragnehmer die „ausgefallene“ Leistung teurer beschaffen muss).

Im Hinblick auf COVID-19 und den Ukraine-Krieg überzeugt die Ansicht, dass grundsätzlich das Kalkulations- und Dispositionsrisiko den Auftragnehmer trifft, aber dieses Risiko dann verlassen werden kann, wenn der gesamte Markt betroffen ist, weil der Auftragnehmer dann nicht mehr kalkulieren/disponieren kann.

Zu aktuellen Preissteigerungen und Lieferkettenstörungen

Zunächst hängen die Auswirkungen der gestiegenen Preise auf den Vertrag davon ab, ob Festpreise bzw ein Pauschalpreis oder veränderliche Preise vereinbart wurden. Bei veränderlichen Preisen können die Preissteigerungen in der Regel leicht „weitergegeben“ werden, wenn ein passender Index bestimmt wurde. Die Problematik stellt sich also bei Festpreis- oder Pauschalpreisverträgen.

Da das Kalkulations- und Dispositionsrisiko den Auftragnehmer trifft, ist also davon auszugehen, dass erwartbare Preissteigerungen bei Rohstoffen und Baumaterialien in den Preisen einkalkuliert und unerwartbare Preissteigerungen – als Teil einer sorgfältigen Kalkulation – im Wagnis berücksichtigt wurden. 

Symbolbild Baustelle
Ein zu einem Prozess alternativer Lösungsansatz ist eine ergänzende Vereinbarung, bei der die bereits eingetretenen und auch künftigen Auswirkungen von Preissteigerungen und Lieferkettenstörungen einvernehmlich geregelt werden. Bild: Fotomanufaktur JL - stock.adobe.com

Der OGH geht dabei sogar soweit, dass er regelmäßig die Preisvereinbarung als eine vom Auftraggeber und Auftragnehmer bewusst getroffene Risikoverteilung ansieht, und nachteilige Preisvereinbarungen nur bei erheblichem Ausmaß als relevant erachtet. Daher sind nach der Rechtsprechung nur Preissteigerungen zu berücksichtigen, wenn sie ein gewisses Ausmaß (nach dem OGH sind vier Prozent von der Gesamtauftragssumme nicht ausreichend) erreichen.

Dazu ist aber festzuhalten, dass eine derartige Situation mit einer Pandemie und einem Krieg in Europa vom OGH bislang noch nicht behandelt wurde, sodass die strenge Rechtsprechung möglicherweise aufgelockert wird, weil mit solchen Verwerfungen ein sorgfältiger Auftragnehmer grundsätzlich nicht rechnen musste.

Zu möglichen Lösungswegen

Mangels einschlägiger Judikatur ist der Ausgang eines Gerichtsverfahrens ungewiss und abhängig vom jeweiligen Einzelfall, und es ist in Bauverfahren regelmäßig mit hohen Prozesskosten, Sachverständigenkosten und einem erheblichen Zeitaufwand zu rechnen ist.

Ein zu einem Prozess alternativer Lösungsansatz ist eine ergänzende Vereinbarung, bei der die bereits eingetretenen und auch künftigen Auswirkungen von Preissteigerungen und Lieferkettenstörungen einvernehmlich geregelt werden. Dabei kann eine sachgerechte und faire Lösung sein, dass der Auftragnehmer maximal jene Differenz zwischen tatsächlichen Kosten und jenen Kosten, mit denen gerechnet werden konnte, vergütet erhält. Eine solche Vereinbarung sollte jedenfalls die einzelnen Mehrkostenforderungen berücksichtigen (z. B. Preissteigerungen bei Stahl ab einem gewissen Punkt werden abgegolten, Forcierungen wegen Omikron-Krankenständen werden nicht bezahlt etc.) und auch für künftige Problemstellungen „fit“ machen.