Christian Sander
„Nehmt die Tür, die aufgeht.“ Christian Sander rät den Kindberger Maturanten, pragmatisch zu sein und spiel damit auch auf seinen eigenen Lebenslauf an.
© Siegfried Teubenbacher

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Der Bürgermeister mit dem Saxofon

Seit 15 Jahren ist Christian Sander bereits Bürgermeister von Kindberg. Dabei sah seine Lebensplanung ursprünglich ganz anders aus. Im Gespräch mit KOMMUNAL berichtet er über die Wendungen seines Werdegangs ebenso wie über die Entwicklung seiner Heimatstadt.

Christian Sander ist 58 Jahre alt und seit 15 Jahren Bürgermeister. Geplant hat er das allerdings nicht wirklich. Vielmehr hat er die Gelegenheiten, die sich ihm geboten haben, beim Schopf gepackt. Das rät er sinngemäß bei seiner Ansprache auch jedes Jahr den Kindberger Maturanten: „Nehmt die Tür, die aufgeht. Das Leben kann viel einfacher sein, als wenn man sich auf etwas versteift, das man jahrelang nicht erreicht.“

Der Bürgermeister, der eigentlich Musiker werden wollte

Eigentlich wollte Sander nach der Schule irgendetwas mit Musik machen. Musik und Malerei sind in seiner Familie, auch beruflich, weit verbreitet und fest verankert. Doch nachdem in der Sparkasse in Kindberg drei Frauen gleichzeitig schwanger wurden, appellierte der Direktor eindringlich an Sanders Vater, den Christian, der sich schon beim Ferialpraktikum bewährt hatte, doch bitte in der Sparkasse anfangen zu lassen. So kam es, dass Sander bei der Steiermärkischen Sparkasse zu arbeiten begann und letztendlich 28 Jahre dabei blieb.

„Das hat mir irrsinnig Spaß gemacht, denn ich bin der Kultur immer verbunden geblieben. Die Kultur in Kindberg ist damals nämlich hauptsächlich über die Sponsoring-Arbeit der Sparkasse gelaufen“ erinnert sich der Bürgermeister zurück – wie zum Beispiel an die EAV auf ihrer Pinguin-Tour.   

Kindberg
Kindberg liegt im Mürztal und ist durch die Südbahn und die S6 (im Bild links) bestens angeschlossen. Im Vordergrund befindet sich das Werksgelände des mit rund 1.000 Beschäftigten größten Arbeitgebers der Stadt, Voestalpine Tubulars. Foto: voestalpine Tubulars

Durch Sanders gleich mehrfache Kassier-Funktionen, beispielsweise bei der Werkskapelle, wurde der damalige Bürgermeister auf ihn aufmerksam und wollte ihn als Tourismusobmann gewinnen.

„Das ist nicht meins, ich würde lieber etwas mit Kultur machen“, zögerte Sander erst, doch schließlich ließ er sich überreden und durchschritt auch diese Tür, die sich ihm öffnete. Ausschlaggebend war für ihn, dass schon damals die Leute aus Handel und Gewerbe gut zusammengearbeitet haben: „Mein Vorgänger nannte es das Triumvirat aus Tourismusverband, Werbegemeinschaft und Stadtgemeinde. Gemeinsam haben wir immer an einem Strang und in die gleiche Richtung gezogen.“

Familie Sander
Zwischenzeitlich spielte die ganze Familie Sander bei der Voestalpine Werkskapelle. 

Im Jahr 2000 kam Sander in den Gemeinderat. Nachdem kurz darauf die Kulturreferentin ihr Amt zurücklegte, wurde er gebeten, die Nachfolge anzutreten, was er gerne tat. Auch weil er zu der Zeit zwei kleine Kinder zu Hause hatte, hätte er dafür den Tourismusobmann gerne zurückgelegt, blieb dann aber auf Bitten doch noch eine weitere Periode lang.

Kultur als Vorreiter von Gemeindefusionen

„Wie wichtig die Kultur ist, habe ich auch bei der Gemeindefusion gesehen“, erzählt Sander. „Die Ersten, die miteinander kommuniziert haben, waren die Vereine im Zuge von kulturellen Veranstaltungen. So ist man erst richtig zusammengewachsen.“

Die Anfangszeit nach der aufoktroyieren Gemeindezusammenlegung beschreibt Sander als die schwierigste seiner Amtszeit. Das landwirtschaftlich geprägte Allerheiligen und das an Einwohnern kleinere Mürzhofen, die beide natürlich eigene starke Strukturen haben, fusionierten mit Kindberg. Die Gemeinde Stanz hingegen wehrte sich erfolgreich gegen die Zusammenlegung.

„Zuerst war überall Ablehnung da, weil man Angst hatte, die Identität zu verlieren. Auch wenn das schlussendlich gar nicht der Fall war, sind Grundängste geweckt worden. Ich habe damals gelernt, dass es in den ganzen Diskussionen gar nicht um Sachpolitik ging, sondern wirklich rein um Emotionen.“ Nachdem in den Fusionspartnergemeinden überfällige Erneuerungen, etwa bei der Druckwasserleitung nach Jasnitz und dem Bau des neuen Freizeitheims in Mürzhofen, durchgeführt wurden, sah man zunehmend auch die Vorteile der Zusammenlegung. 

„Das war damals auch noch anders als heute“, weist Sander auf die aktuelle, prekäre Finanzsituation hin. „Gottseidank haben wir in Kindberg die Voest-alpine Tubulars mit über 1.000 Arbeitsplätzen“, die hauptsächlich Ölfeld-Rohre herstellt und ein eigenes Sauergaslabor betreibt. Auch die Sparte Forschung & Entwicklung ist in Kindberg vertreten, und mit Hilitech und Hintsteiner haben sich zwei Firmen angesiedelt, die auf Carbon-Technologie spezialisiert sind, unter anderem für die Flugzeugindustrie.

Schwierige finanzielle Lage

„Der Finanzausgleich vom Bund ist für uns allerdings sehr ernüchternd. Wir haben vier Prozent weniger erhalten als vor zwei Jahren, und das trotz einer Teuerung von 20 Prozent. Die Löhne und Energiekosten treffen uns schwerstens. Und freie Finanzspritzen gibt es in der Steiermark nicht einmal mehr zwei Hände voll.“

Kindberg muss daher das Straßenbau­budget um die Hälfte herunterschrauben. Ähnlich sieht es mit dem Sanierungsbudget für die 248 Gemeindewohnungen aus. Auch die Pflegeheime sind kostenintensiv und verschärft wird die Lage durch neue Heime privater Betreiber, die der Stadt auch noch die Pflegekräfte, insbesondere die diplomierten, abspenstig machen. „Die Menschen möchten in unsere Heime und wir haben auch die Plätze für sie, aber nicht den Betreuungsschlüssel erfüllt.“ 

Vieles wurde bereits erneuert

Es sind Widrigkeiten in Kindberg, gegen die Gemeinden in ganz Österreich ankämpfen. Dennoch hätte es für die 8.400-Einwohner-Stadt noch schlimmer kommen können. Einerseits ist Kindberg in den vergangenen Jahren entgegen dem regionalen Trend durch den Zuzug junger Familien leicht gewachsen, und zum anderen hat die Stadt in den letzten 15 Jahren schon vieles erneuert. Sander hat Straßen und Gebäude nach einem Ampelsystem bewerten lassen und ist die Aufgaben nach Dringlichkeit angegangen.

„Das war wohl eine Herangehensweise als Banker, aber sehr hilfreich. Was im schlechtesten Zustand war, wurde zuerst gemacht. Das haben wir bis jetzt glaubwürdig umgesetzt und darum war das Vertrauen bei der Wahl auch wieder gestärkt.“ 2020 legte Sanders Partei um ein Mandat zu. „Das Wesentliche wird gemacht und was nicht geht, wissen die Leute auch. Ich habe in der Bank auch öfters Nein sagen müssen und konnte nicht jedem einen Kredit geben. Genauso ist es in der Gemeinde. Die Wahrheit ist jedem Bürger zuzutrauen.“

Zentrum komplett erneuert

Als Jahrhundertprojekt nennt Sander die komplette Erneuerung des Zentrums. Als die Landesstraße durch den Ortskern auf einer Länge von eineinhalb Kilometern erneuert werden musste, hat man das gesamte Zentrum von Hausmauer zu Hausmauer gleich von (Unter-)Grund auf mitsaniert - inklusive Fußgängerzone und der gesamten unterirdischen Infrastruktur. Zwei Jahre dauerte das. Die größte Herausforderung war dabei, die Geschäfte diese Zeit überstehen zu lassen.Die nächsten 30 bis vielleicht 50 Jahre haben wir dafür nun relativ wenig zu tun“, freut sich der Bürgermeister.

Hauptplatz von Kindberg
Der neu gestaltete Hauptplatz von Kindberg mit dem Wahrzeichen der Stadt, dem Zunftbaum. Nicht zu sehen ist, dass auch die unterirdische Infrastruktur komplett neu gemacht wurde. Foto: Stadtgemeinde Kindberg / Denise Ganster


Belebt wird das neue Stadtzentrum durch diverse Veranstaltungen wie den Kirtag, den es als einen der ersten nach dem Krieg schon seit 1951 wieder jährlich gibt, oder die Suppenstraße, bei der die Wirte und Vereine eine große kulinarische Bandbreite an Suppen offerieren. Die Atmosphäre ist herzlich. In Kindberg kennt man einander noch. Als Sander das einmal so umschrieb, dass sich Kindberg dahingehend eine dörfliche Charakteristik bewahrt habe, verkürzte das ein Journalist auf die Aussage: Kindberg ist ein Dorf! Sander erwartete daraufhin einen Shitstorm, doch der blieb aus, denn die Kindberger wussten sehr wohl, wie er es meinte. „Es ist etwas sehr Wertvolles, dass man bei uns versucht, sich untereinander zu kennen. Das zeichnet Kindberg aus.“

Kindberger Kirtag
 Den Kindberger Kirtag gibt es seit 1951 jedes Jahr. 
Kindberger Suppenstraße
Bei der Kindberger Suppenstraße gibt es Tausende Portionen von rund 20 verschiedenen Suppen zu verkosten. Foto: Stadtgemeinde Kindberg / Denise Ganster 

In der näheren Zukunft ist der Bau eines neuen Rüsthauses für die Feuerwehr avisiert. Im Zuge dessen wurde eine neue Platzgestaltung mitkonzipiert: ein neues Jugendzentrum, ein Fußball- sowie Eislaufplatz, ein Spielplatz, neue Plätze für die Stockschützen und eine zusätzliche Brücke. Die gesamte Umsetzung wird voraussichtlich vier Jahre dauern.

Dazu sagt Sander: „Derzeit können wir das finanzieren, aber ich weiß nicht, wie es in drei Jahren aussieht. Vor zwei Jahren hätte ich zum Beispiel nicht gedacht, dass ich keine freie Finanzspritze mehr haben werde. Ich wollte mich deshalb für die Zukunft absichern, daher habe ich mit der Rechnungskontrolle des Landes geredet. Für mich und die Gemeinde war es wichtig, dass man auch die Zusage von jenen hat, die einem später vielleicht auf die Finger klopfen. Ich habe zudem vom Landeshauptmannstellvertreter Anton Lang, der für unsere Gemeinde zuständig ist, die politische Zusage, was die Bedarfszuweisungen an die Gemeinde betrifft.“ Das Letzte was der ehemalige Sparkassenbedienstete möchte, ist, dass Kindberg in die Verlegenheit kommt, die Darlehen nicht mehr bedienen zu können.

Noch Vieles geplant

Sander möchte das anstehende Projekt nicht nur planen, sondern auch umsetzen und die fertigen Einrichtungen schließlich eröffnen. Er wird daher bei den bevorstehenden Gemeinderatswahlen im kommenden Frühjahr wieder antreten. Sollten ihm seine Wähler eine weitere Amtszeit ermöglichen, wäre er an deren Ende 63 Jahre alt. Ob er dann bis 65 noch zwei ­Jahre anhängt und an einen Nachfolger übergibt, darüber will er gar nicht spekulieren. „Wer weiß, wie die Welt dann aussieht“, sagt er. Bis dahin hat er jedenfalls noch einiges für Kindberg vor. Und wenn er nicht gerade als Bürgermeister unterwegs ist, dann genießt er seine neue Rolle als Opa, denn seine beiden Töchter, die zu Zeiten seiner Tourismusobmann- und Kulturreferententätigkeit noch so klein waren, haben ihm mittlerweile beide Enkerl geschenkt. Oder er spielt in der Werkskapelle das Saxofon – genau wie seine Frau. Seine Liebe zur Musik hat er sich nämlich stets bewahrt. 

Auch wenn sich ihm andere Türen geöffnet haben und sein Lebensweg letztendlich ein völlig anderer wurde, als es sich der junge Band-Gründer Christian einmal ausgemalt hat: Seine Leidenschaft musste er deshalb nicht aufgeben und irgendwann, wenn er einmal nicht mehr Ortschef sein wird, wird er auch wieder öfter mit der Werkskapelle als Saxofonist oder Klarinettist auftreten. „Als Bürgermeister kann ich nicht immer mitspielen, denn das bedingt, dass man auch Proben besucht. Aber ab und zu bin ich schon dabei.“ 

Zur Person

Cristian Sander

Alter: 58
Gemeinde: Kindberg 
Einwohnerzahl: 8.399 (1. Jänner 2024)
Bürgermeister seit: 25. September 2009
Partei: SPÖ