Walter Leiss
Walter Leiss: „Jetzt sind Maßnahmen notwendig, die letztlich auch bewirken, dass die, die sich gegenüber der Mehrheit der Gesellschaft unsolidarisch verhalten, auch merken, dass die Solidarität der Mehrheit Grenzen hat.“
© Philipp Monihart

Das Virus ist gekommen, um zu bleiben

Vor knapp zwei Jahren hat ein Virus die Welt verändert. Mit Ursprung in China – ob aus einem Labor oder aus der Natur – hat es sich in Windeseile über die gesamte Welt verbreitet. Und die Welt, die Politik, die Wirtschaft und die Gesundheitssysteme waren darauf nicht vorbereitet. Zwar hat es in der Wissenschaft immer schon derartige Warnungen gegeben, aber sie wurden wie in vielen anderen Bereichen auch nicht so richtig ernst genommen. Alle waren daher überrascht, als es auch bei uns angekommen ist. Schnell stellte sich heraus - trotz aller unbekannten Faktoren -, dass das Virus ein tödliches Potenzial in sich trägt. Schwere Erkrankungen und viele Todesfälle, insbesondere für Personen mit Vorerkrankungen oder der älteren Generation, waren zu befürchten.

Wie darauf reagieren? Die damalige Regierung hat zu Recht auf bekannte Maßnahmen für solche Fälle zurückgegriffen und rechtzeitig durch einen Lockdown, verbunden mit Quarantäne, Isolation und Hygienemaßnahmen, reagiert. Gleichsam wie in einer Schockstarre wurden diese Maßnahmen von allen politischen Parteien und auch von den Medien und damit auch von der Bevölkerung mitgetragen. Dieses Momentum war allerdings rasch vorbei. 

Einschränkungen in vielen Lebensbereichen waren damit verbunden. Geschäfte wurden geschlossen, genauso wie Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe. Produktionsabläufe wurden massiv gestört, was einen Einbruch der Weltwirtschaft nach sich zog. Die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg war über uns hereingebrochen. Unser gut ausgebautes Gesundheitssystem kam an seine Belastungsgrenzen. Die Überkapazitäten in den Spitälern, die kurz davor noch vom Rechnungshof kritisiert worden waren, haben verhindert, dass in Österreich Zustände wie in Italien, Spanien, Portugal oder ­Südamerika – mit Schlangen von Rettungswägen und Leichen­wägen vor den Spitälern – zu beobachten waren. 

Verunsicherung in der Bevölkerung

Den rasch getroffenen Entscheidungen für Hilfsmaßnahmen für Betriebe und Unternehmer sowie Arbeitnehmer war es zu verdanken, dass sich die wirtschaftlichen Folgen für den Einzelnen in Grenzen gehalten haben. Der Beginn der wärmeren Jahreszeit hat auch dazu geführt, dass die Infektionszahlen zurückgegangen sind. Dieser Umstand, aber vielmehr Aussagen von Staatsoberhäuptern vom amerikanischen Kontinent, Berichte in den sozialen Medien und in den heimischen Medien über unterschiedliche Meinungen, Sichtweisen und Handlungsoptionen haben zu großer Verunsicherung in der Bevölkerung geführt.

Auch die Oppositionsparteien haben rasch erkannt, welch politisches Potenzial in einer solchen Krise steckt. Die einen haben das Coronavirus mit dem Grippevirus verglichen, die anderen haben das Maskentragen als sinnlos bezeichnet und die nächsten haben in dem Virus geplante strategische Maßnahmen von Staaten erkannt. Ein idealer Nährboden für Verschwörungstheoretiker. Plötzlich war auch die Wissenschaft in mehreren Bereichen gefordert – Statistiker, Analytiker, Forscher und Wissenschaftler im medizinischen Bereich genauso wie Soziologen. 

Falsche Hoffnungen

Auch ohne Mediziner zu sein, konnte man vorhersehen, dass das Coronavirus nicht so einfach verschwinden wird, wie es gekommen ist. Durch Lockdowns und Isolation kann man die Verbreitung zwar eindämmen, aber letztlich nicht aufhalten. Vorhersehbar war auch, dass das Virus mutieren wird, wenn auch „mit so vielen Mutationen keiner gerechnet hat“, wie es der international renommierte steirische Impfstoffexperte Florian Krammer formuliert hat.

Trotz aller Unsicherheiten und Irrwege ist es allerdings der Wissenschaft gelungen, ein probates Mittel gegen die Pandemie zu entwickeln – nämlich die Impfung. Auch wenn der Impfstoff ständig angepasst werden muss und wir nicht nur zwei, sondern auch den dritten und vielleicht auch den vierten Stich benötigen werden, erscheint dies ein geeignetes Mittel, um das Virus zumindest in Schach zu halten und die Entwicklung von einer Pandemie zu einer Endemie zu bewirken und damit unsere Spitäler zu entlasten.

Auch Florian Krammer war im Frühjahr zuversichtlich, dass die Corona-Pandemie auf ihr Ende zusteuert. Diese Zuversicht hatte auch die Regierung, als sie die Pandemie für Geimpfte für beendet erklärte. Wurde und wird doch beständig in den Medien gefordert, man müsse Perspektiven aufzeigen und Hoffnung geben.

Diese Aussagen waren auch mit der Hoffnung verbunden, dass gerade in Österreich, wo wir über genügend Impfstoff verfügen, unsere Bürger vernünftig genug sein würden, sich auch impfen zu lassen, um vor dem Virus und dessen Folgen geschützt zu sein. Selbst Christian Rainer hat im Mai in seinem Leitartikel geschrieben: „Die Luft ist draußen“ – heute kritisiert er, dass die Regierung über den Sommer keine weitergehenden Maßnahmen getroffen hat.

Keine überzeugenden Bilder

Die große Mehrheit der österreichischen Bevölkerung hat die kostenlose Impfmöglichkeit genutzt. Knapp siebzig Prozent der Bevölkerung sind geimpft, wiewohl für viele noch der dritte Stich von Nöten ist.

Bedenklich ist allerdings, dass noch immer dreißig Prozent der Bevölkerung nicht nur impfskeptisch sind, sondern die Impfung auch ablehnen.

Man hätte hier besser kommunizieren und verstärkt Aufklärungsarbeit leisten müssen, sagen nun die Medien. „Viel früher leidenschaftlich gegen die Verbreiter von Fake News aufstehen müssen“ wie es die Kommunikationsberaterin Elisabeth Pechmann formuliert. Den Weg dazu zeigt sie allerdings nicht auf.

Wie gegen die Verbreitung von Fake News vorzugehen ist, würden viele Staaten und Regierungen gerne wissen. Die eigene Gesundheit und die Solidarität mit der Gesellschaft sind offensichtlich nicht Motivation genug.

„Offenbar haben bei uns die Leute die Auswirkungen der Krankheit noch nicht gesehen“, wie es ein Experte im Krisenstab formulierte. Keine Massengräber, keine Schlangen von Leichenwägen vor den Spitälern und die Überzeugung, dass unser Gesundheitssystem ja dafür da ist, im Falle des Falles eine Behandlung sicherzustellen, sind keine überzeugenden Bilder. Die Überlastung des Spitalspersonals und die Situation auf den Covid-Stationen interessieren offensichtlich nicht. 

Ausweg Patientenverfügung?

Daher ist jetzt der Punkt erreicht, um über eine Impfpflicht zu diskutieren. Jetzt sind die Juristen am Wort und diskutieren das, was noch vor einigen Monaten abgelehnt wurde.

Fraglich ist, ob es nicht auch andere, von einigen schon in Diskussion eingebrachte Möglichkeiten gäbe. Werden Untersuchungen beim Mutter-Kind-Pass nicht wahrgenommen, so wird die Kinderbeihilfe gekürzt. Kürzungen von Sozialleistungen oder die Einführung von Selbstbehalten bei regelwidrigem Verhalten gibt es auch in anderen Bereichen. 

Ein Ausweg aus der generellen Impfpflicht wäre auch die Form der Patientenverfügung. Wer sich nicht mit der Impfung schützen will, erklärt damit für den nach seiner Sicht unwahrscheinlichen Fall der Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung, dass er darauf verzichtet – letztlich die ethisch natürlich schwer vertretbare Form der Triage im Vorhinein, dass ungeimpfte Erkrankte (mit Ausnahme natürlich der aus medizinischer Sicht nicht impfbaren Personen) nicht intensivmedizinisch behandelt werden. 

Schwierige Entscheidungen stehen also bevor. Die Pandemie hat jetzt schon zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt und einzelne Ereignisse bei Demonstrationen zeigen schon, wohin der Weg führt.

Deeskalation ist notwendig, um die Situation nicht weiter anzuheizen. Aufklärung und Motivation allein werden dafür nicht ausreichen. Jetzt sind Maßnahmen notwendig, die letztlich auch bewirken, dass die, die sich gegenüber der Mehrheit der Gesellschaft unsolidarisch verhalten, auch merken, dass die Solidarität der Mehrheit Grenzen hat.