Kommunalpolitiker können sich der Diskussion über Themen wie die Impfpflicht praktisch nicht nur nicht entziehen, auf ihnen lastet auch ein besonderer Druck.
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Am Beispiel Impfpflicht

Das „Abrüsten der Worte“ – leicht gesagt, oft schwer getan!

Die Spaltung der Gesellschaft ist weit fortgeschritten. Einzig verbleibendes Mittel ist das Gespräch, der Dialog. Und wenn die Situation noch so festgefahren ist, man muss es versuchen und mit den Menschen reden. Persönliche Gespräche sind noch die beste Chance – womit die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ins Spiel kommen. Über das „Wie“ hat KOMMUNAL mit Peter Filzmaier gesprochen, Politikwissenschaftler und Professor für politische Kommunikation.

Seit das erste Mal das Thema „Impfen gegen die Corona-Pandemie“ Mitte 2020 aufkam, wird (nicht nur) in Österreich heiß diskutiert. Gegner und Befürworter lieferten sich Wortgefechte, der Riss ging bald quer durch die Gesellschaft und sogar durch Familien. Mit fortschreitender Dauer der Pandemie stiegen nicht nur die Zahl der Impfstoffe, sondern auch Argumente – die Situation wurde immer verbissener.

Seit noch dazu das Wort „Impfpflicht“ als ernstzunehmende Option im Kampf gegen die Überlastung unseres Gesundheitssystems durch die Pandemie gefallen ist, hat sich eine emotional vorbelastete Situation zu einer potenziell explosiven Situation entwickelt. Stellenweise hat man das Gefühl, dass jedes falsche Wort eine Eskalation zur Folge hat.

In einer Leserfrage auf ORF-News gaben vor rund zwei Monaten mehr als 60 Prozent der Teilnehmer an „nicht mehr übers Impfen reden zu wollen“. Ein Ausweg, den man als Privatperson nehmen kann, aber als Bürgermeisterin oder Bürgermeister (oder generell Gemeindemandatar) hat man die Option selten bis gar nicht.

Eine Situation, die auf Kommunalpolitikerinnen und -politiker besonders lastet. Sie können sich der Diskussion praktisch nicht nur nicht entziehen, auf ihnen lastet auch ein besonderer Druck: Als bürgernächste Ebene des Staates obliegt es ihnen, die Menschen zu informieren, ihre Ängste zu zerstreuen und sie auch zu motivieren, sich selbst und damit die Gesellschaft bestmöglich zu schützen.

Den Dialog suchen

Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind in der aktuellen Situation eine ganz wichtige Gruppe an Meinungsmachern und Meinungsvervielfältigern. Sie sind am nächsten zu den Bürgerinnen und Bürgern und diskutieren täglich praktisch auf Augenhöhe. Aber, so Filzmaier, es empfiehlt sich, bei einer Diskussionsrunde in der Gemeinden, etwa einer Bürgerversammlung, nicht alleine aufzutreten. „Ein Mediziner oder Virologe ist von unschätzbarem Wert, weil diese Menschen Auskunft auf spezielle Fragen geben können.“ Und es wird das Signal gesendet, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen.

In Einzelgesprächen ist es gut, wenn die Argumente ausgetauscht sind, diese auch wirken zu lassen. „Realistisch gesehen wird man kaum jemals jemanden nur in einem Gespräch von einer anderen Sicht überzeugen. Die Menschen brauchen auch Zeit, das Gehörte zu verarbeiten“.

Wichtig ist bei solchen Diskussionen auch, sich eine „Auswegs-Argumentation“ zu überlegen. Gemeint ist, dem Gegenüber die Möglichkeit zu geben, sein Gesicht zu wahren, herauszufinden, was der andere, die andere akzeptieren kann.

Aktiv Hilfe anbieten, niemanden zurücklassen

Vor jeder Diskussion, vor jedem Gespräch sollte man sich auch überlegen, zu wem man spricht. Es gibt immer noch viele Menschen, die nicht mit dem Internet und moderner Kommunikation auf Du und Du sind. Eine Online-Anmeldung zu einem (Impf-)-Termin kann da schon eine erste Hürde sein. Ein Anruf auf der Gemeinde könnte das Problem lösen.

Zudem wird gerade in Gesprächen unterschätzt, dass viele Menschen mit einer zu technischen Erklärung – beispielsweise über die Funktionsweise von Impfstoffen – überfordert sein können. Das gilt besonders für Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Die genaue Erklärung, was nun ein Totimpfstoff ist, wieso die Abstände zwischen erstere, zweiter, dritter Impfung so sind, wie sie kommuniziert wurden, wird unter diesen Voraussetzungen zu einer Herausforderung.

Immer noch gute Vertrauenswerte

Während der Vertrauensindex der Politik allgemein „im Keller ist“, wie das Meinungsforschungsinstitut SORA im „Demokratie Monitor 2021“ Mitte Dezember feststellte, haben Bürgermeisterinnen und Bürgermeister noch die besten Zustimmungswerte.  Auf diesen Umstand sollte im Gespräch mit Impfskeptikern auch hingewiesen werden. „In einer Debatte kann man ohne weiteres die Frage stellen, ‘wem vertraust du‘, mir oder dem Internet“, meint Filzmaier. Dann ist aber auch sicherzustellen, dass die Antworten belegbar sind.

„Und keinesfalls darf man Dinge versprechen, die man nicht halten kann, wie beispielsweise ,Im Februar hat der Wirt sicher geöffnet' oder ähnliches. Wichtig ist, keine falschen Versprechungen zu machen.“

Peter Filzmaier
Peter Filzmaier: „Keinesfalls darf man Dinge versprechen, die man nicht halten kann.“

Das gilt auch für Dinge wie die Abstände zwischen den Impfungen, die sich laufend ändern – je nach Gefahrenlage. Wenn man eine zukünftige Entwicklung nicht vorhersehen kann, ist es besser, das gleich zu sagen. „Gut gemeinte Hoffnungen zu äußern, ist der falsche Weg.“

Angst haben ist OK, Dinge zu hinterfragen, auch

Filzmaier weist auch auf einen Punkt hin, der zu gerne vergessen wird: Es ist OK, wenn Menschen vor einer Impfung Angst haben. Impfen an sich ist ja auch keine perfekte Waffe gegen einen Virus. Aber es ist eine sehr gute Option zur Schadensbegrenzung. Ein Blick auf schwere Verläufe in den Kliniken würde da helfen. „Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sollten nicht in die Rolle der/des Allesverstehers fallen. Sie sind auch keine Alleserklärer“, mahnt Filzmaier und „können ruhig zugeben, nicht alles zu verstehen.“

Was in einer Diskussion auch wichtig ist, ist die Vermeidung von „Nebenfronten“. „Da kommt ein Hinweis auf die EU und plötzlich ist man in einer EU-Debatte. In jedem Gespräch ist es wichtig, fokussiert zu bleiben. Es geht nicht um die EU sondern um die Gesundheit.

Verschwörung: Die Spaltung der Gesellschaft

Die Frage ist nicht, ob oder wann sie kommt. Die Frage ist, wie man sie mindert oder beendet. Da gibt es einen Punkt, der besonders wichtig ist: Der Hinweis, dass es nicht „Wir gegen die Anderen“ heißen muss, sondern „Wir gegen das Virus“. Auch Impfskeptiker gehören zur Gesellschaft, auch wenn sie mittlerweile deutlich in der Minderheit sind. Allerdings – und das muss angemerkt werden – sie sind keine Minderheit im verfassungsrechtlichen Sinn.

Und was auch wichtig ist: Es geht hier nicht um zwei gleich große Gruppen! Zwei Drittel der Bevölkerung ist geimpft, und diese Zahl steigt täglich.

Demonstrieren und die Meinung sagen, das Recht auf die freie Rede, ist OK und muss unbedingt erhalten bleiben. Aber wo Recht ist, ist auch Pflicht, gibt es Gesetze – und die sind zu befolgen – Thema Maske und Abstand.

Überhaupt kennt jeder ein paar Gesetze, die einem nicht passen und man lieber anders schreiben würde, aber trotzdem befolgt!

Polarisierung keine Gefahr für den Staat

Immer wieder taucht in jeder Debatte auf, dass die Spaltung der Gesellschaft oder besser die Polarisierung einiger Gruppen der Gesellschaft eine Gefahr für den Staat ist. Professor Filzmaier sieht diese Gefahr zwar nicht, merkt aber an, dass „die Qualität der Demokratie gelitten hat“. Das liegt auch daran, wenn man ein inhaltliches Problem so diskutiert, dass das Gegenüber mitbekommt, „er/sie sei das Problem.“

Generell muss man, so Filzmaier, auch aufpassen, mit wem man bei einer Demonstration mitmarschiert. „Und wenn man Plakate liest, auf denen vor ,Diktatur' gewarnt wird oder von ,Bevölkerungszuwachs durch Migration', dann muss klar sein, dass mit so einer Demonstration eigentlich ganz andere Ziele verfolgt werden, die mit der Impfung genau gar nichts zu tun haben.“