Kuvert mit Aufschrift Briefwahl
Die Ausübung des Wahlrechts mittels Briefwahl darf nur „auf Antrag unter Angabe des Grundes“ erfolgen, ist also begründungspflichtig.
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Coronakrise und Gemeindedemokratie

Auf Grund der gegenwärtigen Coronaviruskrise (C-Krise) sind zentrale gesellschaftliche Bereiche, namentlich Wirtschaft, Kultur, Sport, Unterhaltung, ja sogar die herkömmlichen Beziehungen im Rahmen des gewöhnlichen Privat- und Familienlebens schwer beeinträchtigt, wenn nicht gar zum Erliegen gekommen. Die negativen Folgen der C-Krise greifen inzwischen über den gesellschaftlichen Bereich hinaus und haben längst zentrale Institutionen des Staates, also von Bund und Ländern, sowie der Gemeindeselbstverwaltung und damit den politischen Prozess erreicht. Zwar haben die vergangenen Tage und Wochen gezeigt, dass allgemeine Vertretungskörper (z. B. Nationalrat, Bundesrat) und Regierungsorgane auf den verschiedenen gebietskörperschaftlichen Ebenen vom Bundespräsidenten über die Bundesregierung und die Landesregierungen bis hin zu den Bürgermeistern die zur Krisenbewältigung notwendigen Aufgaben rasch erfüllen und Staat und Gemeindeselbstverwaltung somit auch in Krisenzeiten „funktionieren“. Mit Blick auf aktuelle Infektionen von Mitgliedern des NR und von Bürgermeistern ist aber klar geworden, dass die Gefahr der Ansteckung mit dem Coronavirus bei staatlichen Entscheidungsträgern in gleichem Maße gegeben ist wie bei anderen Personen auch.

Daher gibt es gegenwärtig auf allen gebietskörperschaftlichen Ebenen vielfältige Überlegungen, wie in Zeiten einer wohl länger währenden C-Krise eine „normale“ staatliche Willensbildung unter Beachtung demokratischer Grundsätze und ein gesetzmäßiges Regieren und Verwalten weiter aufrechterhalten werden sollen, bei gleichzeitiger Gewährung effizienten Infektionsschutzes für staatliche und kommunale Entscheidungsträger.

Denn eines ist klar: Staatlicher Notstand soll in jedem Fall verhindert werden (zum Staat in ao Verhältnissen aus staatstheoretischer Sicht Koja, Der Staatsnotstand als Rechtsbegriff, 1979 sowie zu notstandsrechtlichen Handlungsbefugnissen Wiederin, Das Recht des Staatsnotstands in Österreich, in Grafl/Klob/Reindl-Krauskopf (Hg), Freiheit versus Sicherheit, Schriftenreihe Kriminalwissenschaften in Theorie und Praxis, Bd 11, 2017, 115 ff mwN).

Wie aktuelle Beispiele zeigen, gewähren die Bestimmung der Bundesverfassung gleich wie unterverfassungsrechtliche Vorschriften einen flexiblen Handlungsspielraum, in dem einerseits staatliche Willensbildung möglich ist und andererseits auf den Infektionsschutz für Entscheidungsträger in ausreichendem Maß Rücksicht genommen werden kann.

So wurde in der Präsidentenkonferenz des NR zwischen den parlamentarischen Fraktionen vereinbart, dass während der C-Krise für die Beschlussfassung (z. B. über Gesetzesvorschläge) nicht alle 183 Abgeordneten anwesend sein müssen, sondern eine Anwesenheit von 96 Abgeordneten genügt, und zwar in gleichem Verhältnis der Fraktionen zueinander, wie es auf Grund des Ergebnisses der letzten NR-Wahl (Herbst 2019) gegeben ist.

Unter Beachtung dieser Vereinbarung wurde vom NR in der Zusammensetzung von lediglich 96 Abgeordneten in der Sitzung vom 3.4.2020 ein 3. COVID-19-Gesetz BGBl I 23/2020, ein 4. COVID-19-Gesetz BGBl I 24/2020 und ein 5. COVID-19-Gesetz BGBl I 25/2020 beschlossen. Ermöglicht wird diese gegenwärtig dem Gesundheitsschutz der Parlamentarier dienende Form der Beschlussfassung durch Art 31 B-VG; danach müssen für die Beschlussfassung eines einfachen BG lediglich ein Drittel der Mitglieder und für ein Bundesverfassungsgesetz nur die Hälfte der Mitglieder des NR anwesend sein.

Ähnliche interfraktionelle Vereinbarungen zur Reduktion der für eine parlamentarischen Beschlussfassung erforderlichen Abgeordneten werden auch auf Ebene der Landtage überlegt (zum Entscheidungsfähigkeits- und zum Zeitproblem in Krisenzeiten vgl Wiederin, Das Recht des Staatsnotstands in Österreich 128 ff).

Auf kommunaler Ebene steht ein anderes Thema im Vordergrund, nämlich in der gegenwärtigen C-Krise fällige allgemeine Gemeindevertretungswahlen nicht abzuhalten, sondern diese aus Gründen des Schutzes der Gesundheit der Gemeindebevölkerung und der Gemeindepolitiker auf einen Zeitpunkt nach Abklingen der C-Krise zu verschieben.

Eine solche Wahlverschiebung geht herkömmlich mit einer Verlängerung der Funktionsperiode der bisher gewählten Gemeindevertretung, aber auch des amtierenden Gemeindevorstand und des amtierenden Bürgermeisters einher.

Solche Überlegungen gibt es z. B. in Bezug auf die im Herbst 2020 regulär fälligen Gemeinderatswahl in Wien, wobei Wien wegen der Ausübung der Funktion des Landtages durch den Gemeinderat (Art 108 B-VG) ein Sonderfall ist (vgl den Artikel „Die verlorenen Feste der SPÖ“, in „Die Presse“ vom 31.3.2020).

Wie man den Medien entnehmen konnte, wurden in der Steiermark und in Vorarlberg dort fällige Gemeindevertretungswahlen jüngst konkret „abgesagt“, was zum Anlass genommen werden soll, einige damit zusammenhängende Rechtsfragen näher zu erörtern.

C-19-G und Kommunalwahlen

Der Bundesgesetzgeber hat aus Anlass und zur Bekämpfung der Coronapandedmie unter der Bezeichnung COVID-19-Gesetz BGBl I 12/2020 (im Folgenden C-19-G) ein mehrere neue BG und Novellen geltender BG umfassendes erstes Maßnahmenpaket beschlossen.

Mit Art 8 des C-19-G wurde ein COVID-19-MaßnahmenG (im Folgenden C-19-MaßG) erlassen, dessen § 2 verschiedene Verwaltungsbehörden (je nach dem örtlichen Geltungsbereich eines Verbots) zur verordnungsmäßigen Erlassung eines Verbots des Betretens bestimmter Orte ermächtigt, „soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist“.

In Ausführung dieser Ermächtigung erließ der Gesundheitsminister ein umfassendes Verbot des Betretens „öffentlicher Orte“, also von im Freien oder in Gebäuden gelegenen Orten, die für jedermann/jede Frau bzw. für nach Gattungsmerkmalen bestimmten Personen unter gleichen Bedingungen zugänglich sind (vgl VO gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-MaßG BGBl II 98/2020). Es darf nur bei Vorliegen einer der ausdrücklich normierten Ausnahmesituationen des § 2 der erwähnten VO durchbrochen werden (Abwendung unmittelbarer Gefahren für Leib, Leben und Eigentum; Betreuung und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen; Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens; berufliche Zwecke; Betreten öffentlicher Orte alleine oder mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben).

Zu den „öffentlichen Orten“ zählen auch Wahllokale für alle Wahlen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene, zumal diese jedenfalls für alle Wahlberechtigten, also für einen lediglich nach Gattungsmerkmalen bestimmten Personenkreis, zugänglich sein müssen und sind.

Solange dieses allgemeine Verbot des Betretens öffentlicher Orte aufrecht ist, solange ist jedermann/jeder Frau auch das Betreten von Wahllokalen z. B. auch anlässlich von Gemeindevertretungs- oder Bürgermeisterwahlen untersagt. In einer solchen Situation hätte die Anberaumung z. B. einer Gemeindevertretungwahl keinen Sinn, weil wahlberechtigten Gemeindebürgern das Betreten ihres Wahllokals zum Zweck der Stimmabgabe vor einer Wahlkommission, wie es der Grundsatz des unmittelbaren Wahlrechts auch verfassungsrechtlich garantiert (vgl Art 117 Abs 1 B-VG; VfSlg 10.412/1985), auf Grund der VO BGBl II 98/2020 untersagt ist.

Das erwähnte umfassende Betretungsverbot provoziert die Frage nach seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit.

Darf der Bundesgesetzgeber auf Grundlage des Kompetenztatbestandes „Gesundheitswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG) zur Anordnung eines derart weitreichenden Betretungsverbots ermächtigen?

Darf der Gesundheitsminister auf einfachgesetzlicher Grundlage ein derart weitreichendes Verbot des Betretens öffentlicher Orte erlassen, umfassend auch für die Durchführung von Kommunalwahlen notwendige Wahllokale?

Ohne die Frage hier detailliert beantworten zu können, sind doch erhebliche Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des umfassenden Betretungsverbots anzumelden, zumal Regelungen des Kommunalwahlrechts im Allgemeinen und Bestimmungen über das Betreten von und das Verhalten in Wahllokalen anlässlich von Kommunalwahlen im Besonderen gemäß Art 115 Abs 2 B-VG Sache des Landesgesetzgebers sind (dazu z. B. Stolzlechner, Art 115 B-VG, in Kneihs/Lienbacher (Hg), B-VG-Kommentar (12. Lfg, 2013, Rz 8 ff).

Ein denkbarer, wenngleich letztlich nicht überzeugender Ansatz wäre eine verfassungskonforme Interpretation in dem Sinne, dass unter „öffentliche Orte“ iS von § 1 Z 2 C-19-G und der VO BGBl II 98/2020 lediglich Wahllokale bei bundesgesetzlich angeordneten Wahlen, hingegen nicht bei landesgesetzlich angeordneten Wahlen zu verstehen sind. Freilich sprechen dagegen der klare Wortlaut ebenso wie der zugrundeliegende Regelungszweck des C-19-G und der VO BGBl II 98/2020. Legistisch sauberer wäre allenfalls eine Aufnahme von im Zusammenhang mit landesgesetzlich festgelegten Wahlen verwendeten Wahllokalen (z. B. Gemeindewahllokale) in den Ausnahmekatalog gemäß § 2 VO BGBl II 98/2020.

Es können aber auch weitere, für die Verfassungsmäßigkeit der erwähnten Notstandregelungen sprechende Argumente ins Treffen geführt werden. Der Kompetenztatbestand „Gesundheitswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG) umfasst grundsätzlich alle Maßnahmen der Sanitätspolizei, also der Abwehr von Gefahren für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung, namentlich auch Maßnahmen der Bekämpfung von Infektionskrankheiten (VfSlg 4609, 5485), unter Einschluss von Beschränkungen der Bewegungsfrfeiheit (VfSlg 16.929; näher z. B. Mayer/Muzak, B-VG5 (2015) Art 10 B-VG I.12).

Angesichts der hohen Ausbreitungsintensität des Coronavirus und der damit einhergehenden raschen Ausbreitung von Covid-19-Erkrankungen in der Bevölkerung können die im C-19-G und den darauf beruhenden VO vorgesehenen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit der Menschen als medizinisch gebotene und folglich kompetenzrechtlich zulässige Abwehrmaßnahmen qualifiziert werden, einschließlich des Verbots des Betretens von für landesgesetzlich geregelte Wahlen relevante Wahllokale.

Es spricht viel dafür, dass der Bundesgesetzgeber ein solches Verbot unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Gesamtbevölkerung regeln darf (zur „Gesichtpunktetheorie“ vgl z. B. Mayer/Kucsko-Stadelmayer/Stöger, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts11, 2015 Rz 297; Stolzlechner/Bezemek, Einführung in das öffentliche Recht7, 2018, Rz 321).

Ausübung des Wahlrechts in Krisenzeiten allein durch Briefwahl?

Eine andere Überlegung wäre, Gemeindevertretungswahlen in Zeiten der C-Krise und des allgemeinen Betretungsverbots so abzuwickeln, dass eine Stimmabgabe nur mittels Briefwahl erlaubt ist, wie dies jüngst in Bayern der Fall war (Bayrische Gemeinderatswahl, März 2020).

Bei der Briefwahl handelt es sich um eine Form des Distanzwählens, die für Zeiten gebotener Kontaktreduktion besonders gut geeignet ist. Sie ist neben der persönlichen Stimmabgabe vor einer Wahlkommission, wie sie der Grundsatz des unmittelbaren Wahlrechts vorgibt (vgl VfSlg 10.412/1985; ferner z. B. Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Grundriss Bundesverfassungsrecht11 Rz 309; Stolzlechner/Bezemek, Einführung in das öffentliche Recht7 Rz 352,353), auch für Gemeinderatswahlen verfassungsrechtlich vorgesehen (vgl Art 117 Abs 2 B-VG: „Art 26 Abs 6 ist sinngemäß anzuwenden.“) und in dem Kommunalwahlordnungen der Länder umgesetzt. Zufolge dem sinngemäß anzuwendenden Art 26 Abs 6 B-VG können Wahlberechtigte, die voraussichtlich am Wahltag z. B. aus „gesundheitlichen Gründen“ (z. B. zwecks Verhinderung der Ansteckung mit dem Coronavirus) an der persönlichen Stimmabgabe vor der Wahlbehörde verhindert sein werden, ihr Wahlrecht durch Briefwahl ausüben. Die Ausübung des Wahlrechts mittels Briefwahl darf nur „auf Antrag unter Angabe des Grundes“ erfolgen, ist also begründungspflichtig.

Die Briefwahl ist insoweit als alternative Möglichkeit der Stimmabgabe für am Wahltag verhinderte Wahlberechtigte verfassungsrechtlich vorgesehen. Es ist aber nicht zu erkennen, dass es dem Wahlrechtsgesetzgeber auf Grund von Art 26 Abs 6 B-VG erlaubt wäre, die Wahlbehörde zu einer Regelung dergestalt zu ermächtigen, dass das Wahlrecht z. B. bei einer Gemeindevertretungswahl in Krisenzeiten zwingend nur mittels Briefwahl ausgeübt werden dürfte und folglich die persönliche Stimmabgabe vor einer Wahlkommission gänzlich ausgeschlossen wäre. Eine solche Anordnungsbefugnis ergibt sich weder aus dem sinngemäß anzuwendenden Art 26 Abs 6 B-VG noch aus einer sonstigen Bestimmung des Art 117 B-VG.

Überlegungen zur „Verlängerung“ der Funktionsperiode von Gemeindevertretungen in Krisenzeiten

Werden in einem Bundesland allgemeine Gemeindevertretungwahlen zu einem Zeitpunkt fällig, zu dem im Land außerordentliche Verhältnisse herrschen, wie dies gegenwärtig auf Grund der C-Krise der Fall ist, entsteht die Frage, ob es rechtliche Möglichkeiten gibt, anstehende allgemeine Gemeindevertretungswahlen, deren Abhaltung erhebliche rechtliche und faktische Hindernisse entgegenstehen, auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben und sie nach Aufhebung der außerordentlichen Verhältnisse (z. B. nach Überwindung der C-Krise) nachzuholen.

Mit einer solchen Verschiebung der Neuwahl verknüpft ist die rechtliche Wirkung, dass die Funktionsperiode bestehender Gemeinderäte auf bestimmte Zeit verlängert wird.

Wie die folgenden Ausführungen zeigen, sind derartige Möglichkeiten in Form notstandsrechtlicher Ermächtigungen in den Landesverfassungen vorgesehen. In der Steiermark wurde ein anderer Weg gewählt. Der Stmk LT fügte jüngst in aller Eile einen neuen §96b („außerordentliche Verhältnisse“) in die Gemeindewahlordnung (GWO 2009 LGBl 59) ein (LGBl 21/2020), mit dem ua Bestimmungen über die Aussetzung ausgeschriebener Gemeindevertretungswahlen erlassen wurden.

Zur Unterscheidung von Wahlperiode und Funktionsperiode von Gemeinderäten

Gemäß Art 115 Abs 2 B-VG ist es Sache eines Landes als Gemeindegesetzgeber, die für die Gemeindevertretung (den Gemeinderat) aller Gemeinden des Landes geltende Wahlperiode einheitlich festzulegen; gemeint ist damit die mit fünf Jahren (z. B. Burgenland, NÖ, Salzburg, Steiermark) oder mit sechs Jahren (Kärnten, OÖ, Tirol) festgelegte Zeit, auf deren Dauer die Gemeinderatsmitglieder gewählt werden.

Davon zu unterscheiden ist die Funktionsperiode (jedes einzelnen Gemeinderats), also die zwischen Amtsbeginn und Amtsende eines Gemeinderats liegende Zeitspanne, die anders verlaufen kann als die allgemeine Wahlperiode, die z. B. durch Auflösung oder durch ein aufhebendes Erkenntnis des VfGH verkürzt werden kann (zu dieser Unterscheidung näher Trauner, 4. Teil, Wahlen zum Gemeinderat Rz 62, 177, in Pabel (Hg), Das österreichische Gemeinderecht, 2016 sowie Putschögel/Neuhofer, OÖ Gemeindeordnung5, 2015, S 91 ff).

Ein solcher anderer Verlauf liegt auch dann vor, wenn die Funktionsperiode wegen ao Verhältnisse über den Zeitraum von fünf bzw. sechs Jahren hinaus verlängert wird, wie dies aus Anlass der C-Krise für die in der Steiermark und in Vorarlberg fälligen Gemeinderatswahlen auf Grund einschlägiger landesrechtlicher Handlungsermächtigungen geschehen ist.

Landesverfassungsrechtliche Notstandsregelungen zur Verschiebung fälliger Gemeinderatswahlen bzw. zur Verlängerung der Funktionsperiode bestehender Gemeinderäte

Die einheitliche Festlegung der Funktionsperiode für alle (Orts-)Gemeinden eines Landes (z. B. in der Dauer von fünf Jahren) sowie die Bestimmung jener Anlässe, die zur Verkürzung (z. B. Auflösung eines Gemeinderats durch LReg) oder Verlängerung der Funktionsperiode führen, sind zentrale Gegenstände des „Gemeinde(organisations)rechts“ (Art 115 Abs 2 B-VG) und folglich durch landesgesetzliche Vorschrift zu regeln (zu den Rechtsquellen vgl Trauner, 4. Teil, Wahlen zum Gemeinderat, Rz 62 ff).

Die Verschiebung fälliger Gemeinderatswahlen und damit die Verlängerung des „Mandats“ bisheriger Gemeinderäte auf Grund ao Verhältnisse kann als Notstandsregelung qualifiziert werden. Nicht verwunderlich ist daher, dass einschlägige Bestimmungen bislang eher nicht in den Gemeinde(wahl)ordnungen enthalten sind, sondern auf höherer Rechtsstufe, nämlich im Landesverfassungsrecht der meisten Länder in Form eines auch auf die Verschiebung fälliger Gemeindevertretungswahlen anzuwendendes Notverordnungsrecht geregelt sind (vgl Art 50 Bgld L-VG; Art 39 K-LVG; Art 49 OÖ L-VG; Art 41 Sbg L-VG; Art 42 Stmk L-VG; Art 53 Tir LO; Art 14 Vlbg LV; die NÖ LV und die Wr Stadtverfassung enthalten keine einschlägigen Bestimmungen).

Dabei fällt eine rechtstechnische Besonderheit auf: Während die Notverordnungregelungen der meisten Länder allgemein gehalten und einander sehr ähnlich sind, hebt sich der einschlägige Art 14 Abs 3 Vlbg LV dadurch ab, dass diese Bestimmung genau in Krisenzeiten fällige Gemeinderatswahlen zum Gegenstand hat. Da aus Anlass der aktuellen C-Krise in der Steiermark die Aussetzung und in Vorarlberg die Verschiebung fälliger Gemeinderatswahlen angeordnet wurde, seien die einschlägigen Bestimmungen dieser Länder beispielhaft in aller Kürze erörtert.

1) Verschiebung von Gemeinderatswahlen nach Vlbg Landesverfassung

Art 14 Vlbg LV LGBl 9/1999 ist eine „klassische“ Notstandsregelung, die besondere Befugnisse für zentrale Landesorgane für die „Dauer außerordentlicher Verhältnisse“ normiert, wobei ein besseres Schulbeispiel für „ao Verhältnisse“ als die gegenwärtige C-Krise wohl kaum gefunden werden kann. Art 14 Abs 3 Vlbg LV ist die hier einschlägige Norm.

Danach können bei ao Verhätnissen, „welche die Durchführung fälliger Gemeindevertretungswahlen unmöglich machen“, diese Wahlen „bis zu neun Monaten nach Beendigung dieser Verhältnisse“ durchgeführt werden.

Ob ao Verhältnisse vorliegen, kann nicht jede Gemeinde für sich entscheiden, sondern darüber entscheidet einheitlich für das gesamte Land die LReg mit 2/3-Mehrheit, mangels Möglichkeit des Zusammentretens der LH (vgl VO über die Feststellung ao Verhältnisse, welche die Durchführung der Gemeindevertretungs- und Bürgermeisterwahlen 2020 am 15. März 2020 unmöglich machen, Vlbg LGBl 14/2020).

Ohne ins Detail gehen zu können, sei zu dieser Regelung Folgendes festgehalten: Eine Feststellung gem Art 14 Abs 3 Vlbg LV bewirkt zunächst, dass während der Dauer ao Verhälnisse fällige Gemeindevertretungswahlen nicht zum regulären Wahltermin abgehalten werden müssen.

Ferner wird die laufende Funktionsperiode ex constitutione verlängert und im Amt befindliche Gemeinderäte (ebenso wie Bürgermeister und Gemeindevorstände) bleiben weiter im Amt. Neuwahlen können bis zu neun Monaten „nach Beendigung der ao Verhältnisse“ durchgeführt werden. Zwar ist eine Ermächtigung zur Feststellung der Beendigung der ao Verhältnisse in Art 14 Vlbg LV nicht ausdrücklich festgelegt; dies schadet freilich nicht, weil es als allgemeiner Grundsatz gelten kann, dass jenes Organ, das zur Erlassung eines bestimmten (zeitlich begrenzten) Rechtsakts ermächtigt ist, ebenso zur nachträglichen Wiederaufhebung des einmal erlassenen Aktes („contrarius actus“) zuständig ist.

Ist die C-Krise zu einem späteren Zeitpunkt in einem Ausmaß überwunden, dass Gemeindevertretungswahlen ohne Gefährdung der Gesundheit von Gemeindebevölkerung und Gemeindepolitiker abgehalten werden können, hat die LReg dies mit 2/3-Mehrheit festzustellen und anschließend die in der Gemeindewahlordnung vorgesehenen Maßnahmen zur Durchführung der vorübergehend verschobenen Gemeindevertretungswahlen anzuordnen (z. B. Anordnung und Ausschreibung der Wahl).

Dass fällige Gemeindevertretungswahlen nicht bis zum „Sanktnimmerleinstag“ hinausgeschoben werden dürfen, ergibt sich im Übrigen auch aus bundesverfassungsrechtlichen Bestimmungen, wie noch kurz angemerkt sei.

Der VfGH leitet aus dem demokratischen Grundprinzip (Art 1 B-VG) ab, dass die maßgeblichen Organe der Gesetzgebung und Vollziehung, einschließlich wesentlicher Organe von Selbstverwaltungskörpern, in periodisch wiederkehrenden Wahlen zu bestellen sind (VfSlg 10.306), was willkürliche Verlängerungen laufender Funktionsperioden von Gemeinderäten als unzulässig erscheinen lässt. Ähnliches gilt für das aus dem Gleichheitssatz (Art 7 B-VG) abzuleitende Sachlichkeitsgebot, das Verlängerungen oder Verkürzungen der Funktionsperiode der Gemeinderäte lediglich bei Vorliegen sachlicher Gründe erlaubt (VfSlg 7830; näher Stolzlechner, Art 117 B-VG, in Kneihs/Lienbacher (Hg), B-VR- Kommentar, 1.Lfg, 2001, Rz 3).

2) Verschiebung von Gemeinderatswahlen nach steirischem Landesrecht

Gemäß Art 42 Stmk L-VG („Notverordnungen“) kann die LReg im Einvernehmen mit dem LT-Ausschuss für Notsituationen bestimmte Maßnahmen durch „vorläufige gesetzesändernde Verordnungen“ treffen; dies unter der (nicht ganz einfach festzustellenden) Voraussetzung, dass die sofortige Erlassung von Maßnahmen, die einer Beschlussfassung des LT bedürfen, zur Abwehr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Allgemeinheit zu einer Zeit notwendig wird, in der der LT nicht rechtzeitig zusammentreten kann oder in seiner Tätigkeit durch höhere Gewalt behindert ist.

Dem Grunde nach kann eine solche „Maßnahme“ auch ein allfälliger Beschluss über die Aussetzung und Verschiebung fälliger Gemeinderatswahlen in Krisenzeiten sein. Aber, abgesehen von der Kompliziertheit der Voraussetzungen und des Verfahrens gem Art 42 Stmk L-VG, lagen die in Art 42 Stmk L-VG erwähnten Voraussetzungen ganz offensichtlich nicht vor, zumal der LT selbst in Zeiten der C-Krise noch voll arbeitsfähig war und die erwähnte Novelle LGBl 21/2020 zur GWO 2009 beschlossen hat.

Der „Lohn“ dieser legislativen Arbeit ist eine gelungene Regelung für Aussetzung und Verschiebung fälliger Gemeindevertretungswahlen. Gemäß § 96b Abs 1 Stmk GWO 2009 ist die LReg ermächtigt, durch VO

  • Gemeinderatswahlen abweichend von der in § 4 festgelegten Frist (Wahlausschreibung bis spätestens 12 Wochen nach Ablauf der Wahlperiode) auszuschreiben;
  • das Wahlverfahren höchstens sechs Monate auszusetzen und gleichzeitig oder gesondert einen neuen Wahltag festzusetzen;
  • die Ausschreibung der Wahlen aufzuheben und neu auszuschreiben; dies alles unter der Voraussetzung, dass Gemeinderatswahlen „infolge von Krieg, von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, von Maßnahmen nach dem EpG 1950 oder Katastrophen“ nicht entsprechend den Vorgaben der GWO 2009 durchgeführt werden können.

Bei dieser an sich gelungenen Notstandsregelung fallen folgende offenbar der gebotenen Eile geschuldete Regelungsdefizite auf: zunächst die einerseits weit, dann aber doch eng gefassten Voraussetzungen für die Erlassung einer AussetzungsVO; die zahlreichen, aus Anlass der C-Krise angeordneten Handlungsbeschränkungen (z. B. Verbot des Betretens öffentlicher Orte) beruhen auf dem C-19-G bzw den weiteren COVID-G, nicht auf dem EpG 1950.

Zu lösen ist das Problem dadurch, dass man den Begriff „EpG 1950“ nicht wörtlich nimmt, sondern so interpretiert, dass davon alle auf Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG („Gesundheitswesen“) beruhenden, aus Anlass einer die Volksgesundheit gefährdenden Krankheit erlassenen BG, somit auch die COVID-19-BG erfasst sind.

Der andere Mangel liegt bei der Fristregelung: Das Wahlverfahren darf „höchstens sechs Monate“ ausgesetzt werden; fraglich ist, beginnend mit welchem Zeitpunkt? Mangels anders lautender Regelung offenbar ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Aussetzung und nicht ab Beendigung der Krise (vgl dagegen Art 14 Abs 3 Vlbg LV: „bis zu neun Monate nach Beendigung dieser Verhältnisse“). Was ist rechtens, wenn die aktuelle allgemeine Gesundheitsgefährdung länger als sechs Monate seit der Wahlaussetzung anhält? Es wird nichts anderes übrig bleiben, als dass eine weitere VO nach § 96b Stmk GWO 2009 erlassen wird.

Unbeschadet dieser geringfügigen Regelungsschwächen (die sich bei einer allfälligen Novellierung leicht korrigieren lassen) erließ die Stmk LReg jüngst auf Grund des § 96b Stmk GWO 2009 die VO über die Aussetzung des Wahlverfahrens der Wahlen in den Gemeinderat 2020 und der Wahlen in die Migrantinnen- und Migrantenbeiräte LGBl 23/2020. Gemäß § 96b Abs 2 Stmk GWO 2009 „verlängert sich“ dadurch (ex lege) die laufende Wahlperiode bis zu dem von der LReg mit VO neu festzusetzenden Wahltag, mit der Folge, dass damit die Funktionsperiode im Amt befindlicher Gemeinderäte, Bürgermeister und Gemeindevorstände um den angegebenen Zeitraum verlängert wird.

Schlussbetrachtung

Der vorangehende Überblick über einige aktuelle Fragen des Gemeinderechts hat gezeigt, dass die gegenwärtige C-Krise auch erhebliche Auswirkungen (z. B. iZm fälligen Gemeindevertretungswahlen) auf Gemeinden und Gemeindedemokratie hat.

Gleichzeitig war festzustellen, dass die für das Gemeinderecht zuständigen Länder rechtliche Instrumente an der Hand oder in aller Eile entwickelt haben, um auch in Zeiten ao Verhältnisse wie der gegenwärtigen C-Krise geordnete Abläufe für in solchen Zeiten allenfalls fällige Gemeindevertretungswahlen sicherstellen zu können.