B.R.O.T. Pressbaum
B.R.O.T. Pressbaum: Zehn Holzhäuser und ein zentrales Gemeinschaftshaus schaffen im niederösterreichischen Pressbaum die Grundlage für diese neue Art des Miteinanders. Nach drei Jahren Planung und einer Bauzeit von zwölf Monaten bezogen die Mitglieder der Gemeinschaft ihr neues Zuhause.
© Kurt Hoerbst

Corona und die Zukunft des Wohnens

Nicht erst seit der Pandemie werden die konzeptionellen Mängel des aktuellen Wohnbaus in Stadt und Land offensichtlich. Nach wie vor orientiert sich die definierte Raumnutzung an herkömmlichen Mustern des Einfamilien- oder Singlehaushalts.

In Zeiten der Corona-Pandemie sind Wohnräume mehr denn je ein wichtiger Rückzugs-, Heimat- und Lebensraum der Menschen. Im Idealfall geborgen in der Familie, eingebettet im Kreise der Mitbewohnerinnen und Mitbewohner oder individuell im Single-Haushalt sind sie – insbesondere während des Lockdowns – Mittelpunkt des Lebens und immer häufiger auch des Arbeitens.

Demnach muss es das Ziel aller Stadt- und Kommunalgestalter sein, den Menschen großzügigen, komfortablen und multifunktional nutzbaren Wohnraum zu bieten, um gutes Leben und Arbeiten zu ermöglichen.

Aber genau diese Großzügigkeit zwingt – ebenso wie der Trend zum Einpersonenhaushalt, die steigende Wohnfläche pro Kopf und der Zuzug in Ballungszentren – kleinere und größere Städte zu stetem Wachstum. Wachstum, das wertvolle Naturreserven verbraucht und den Klimawandel beschleunigt. Wachstum, das Freiräume frisst und Flächen versiegelt. Wachstum, das Anonymität und Vereinsamung fördert – noch verstärkt durch die Corona-Maßnahmen.

Wenn nicht jetzt, wann dann ist es an der Zeit, über Veränderungen in der Wohnraumschaffung nachzudenken? Wie kann ein Wohnungsbau aussehen, der gleichermaßen gesellschaftlich verantwortlich und ressourcenschonend ist? Wie kann ein gemeinschaftliches Zusammenleben in unseren Städten Einzug halten? Wie können lebenswerte Quartiere anstatt monofunktionaler Wohnghettos entstehen? Und gibt es Lösungen, die im ländlichen Raum ebenso funktionieren wie in der Stadt?

Gemeinschaft mit Mut zur Vielfalt

Um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen, müssen neue Lösungsvorschläge erforscht, alternative Strategien entwickelt und höhere Standards gesetzt werden. Dazu zählt eine bessere Nutzung der bestehenden Bausubstanz genauso wie der sensible Umgang mit Versiegelung und Flächenverbrauch bei Neubauprojekten.

Die Kunst besteht darin, gleichzeitig ressourcenschonend zu bauen und Gemeinschaft, Vernetzung und Interaktion zu fördern. Neue Formen für das gemeinschaftliche Wohnen mit Mut zu Vielfalt, Heterogenität und Mischung sind gefragt! Das erfordert interdisziplinäre und partizipative Planungsprozesse: Lieber länger planen als falsch bauen!

Beispiel Stadt: Fairberlinerhaus – mutig nach innen wachsen

Um neue Standards zu setzen, müssen Pilotprojekte entstehen, die zeigen, dass gemeinschaftliches Wohnen und das Wachsen nach innen echte Alternativen zur Ausweisung neuer Bebauungsflächen sind, die auch im größeren Maßstab für private Investor*innen oder städtische Wohnungsgesellschaften funktionieren.

Für ein solches Projekt hat nonconform in Kooperation mit Ruth Jacob eine Forschungsförderung der Deutschen Bundesumweltstiftung (dbu) erhalten. Die engagierte Bauherrin will in Berlin-Wilmersdorf das Hinterhaus eines städtischen Blocks ergänzen und ein Haus für gemeinschaftliches Zusammenleben umsetzen.

Fairberlinerhaus
„Fairberlinerhaus“: Um frühzeitig die Bedürfnisse der zukünftigen, aber noch unbekannten Nutzer*innen einzubeziehen, wurden in analogen und digitalen Workshopformaten mit potenziellen Nutzer*innen neue Grundrisstypologien und Nutzungsmischungen für gemeinschaftliches Wohnen auf reduziertem Raum erforscht und unmittelbar in die Planung eingearbeitet. Foto: nonconform

Parallel zur Planung eines Architekturbüros entwickelte nonconform eine Strategie, die den Planungsprozess eines Architekturprojekts neu interpretiert und partizipative Formate darin einwebt. Um frühzeitig die Bedürfnisse der zukünftigen, aber noch unbekannten Nutzerinnen und Nutzer einzubeziehen, wurden in analogen und digitalen Workshopformaten mit potenziellen Nutzerinnen und Nutzer neue Grundrisstypologien und Nutzungsmischungen für gemeinschaftliches Wohnen auf reduziertem Raum erforscht und unmittelbar in die Planung eingearbeitet. 

Gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten im ländlichen Raum

Auch außerhalb von Ballungszentren gilt es neue Wohnformen zu realisieren, die passgenau auf die Bedürfnisse von Bewohner*innen im ländlichen Raum reagieren und gleichzeitig flächenschonend sind: Einerseits ausreichend Wohnkomfort durch intelligente Grundrisse, Individualität in der eigenen Wohnung und Bezug zu Grünflächen, andererseits ebenso Räume für gemeinschaftliches Leben, bilden die Grundlage einer Wohnform, die sich zunehmender Beliebtheit erfreut: der Baugemeinschaft. Sie zeigt sich in Zeiten von Corona von ihrer besten Seite: Das gemeinschaftliche Wohnen macht es möglich, auch in Zeiten des Lockdowns enge soziale Kontakte zu pflegen und sich im Alltag mitzuteilen, ohne größere Ansteckungsrisiken einzugehen.

Beispiel Land: B.R.O.T. Pressbaum – ein Dorf des Gemeinsinns

Zehn Holzhäuser und ein zentrales Gemeinschaftshaus schaffen im niederösterreichischen Pressbaum die Grundlage für diese neue Art des Miteinanders. Nach drei Jahren Planung und einer Bauzeit von zwölf Monaten bezogen die Mitglieder der Gemeinschaft ihr neues Zuhause. B.R.O.T. steht für Begegnen, Reden, Offensein und Teilen und signalisiert den zentralen Community-Gedanken. Dieser lag auch dem partizipativen Planungsprozess zugrunde, in dessen Verlauf nonconform mit den Bewohnerinnen und Bewohner eine Vision vom „Zusammenleben aller Generationen in ökologischen Häusern – Teilen als Zukunft“ für das Wohnen und Leben am Land entwickelte und umsetzte.

Die Bewohnerinnen und Bewohner initiierten schon zu Beginn der Pandemie ein Gesundheitsteam, um innerhalb der Baugruppe den Umgang mit Corona-Maßnahmen zu regeln.

„Bei uns leben auch alleinstehende Menschen. Darum gibt es in dieser Zeit das Angebot eines offenen digitalen Begegnungsraums, der die Situation für alle Bewohner*innen verbessert”, berichtet Johanna Leutgöb, Mitbegründerin der Baugruppe.

Viele Maßnahmen der Gemeinschaft greifen ineinander: Der Austausch in Sachen Home-Schooling und Kinderbetreuung ist wesentlich einfacher, da sich die Kinder ja durch die gemeinsame Schule gut kennen. Dazu kommen die Nutzung des Gemeinschaftshauses als Co-Working-­Space, in dem Eltern konzentriert arbeiten können, sowie die gegenseitige Unterstützung beim Einkauf und die kurzen Wege zur gemeinsamen FoodCoop.  Auch auf übergeordneter Ebene nutzt man das Netzwerk: Über die Initiative „Gemeinsam Bauen & Wohnen“ findet Austausch mit anderen Baugemeinschaften statt.

Behutsames Innenwachstum für Land und Stadt als neue Normalität

Anhand der durchgeführten Projekte zeigt sich, dass unabhängig von der Lage, der zugrunde liegenden Fläche oder der Art des Zusammenlebens großes Potenzial in der Gemeinschaft als Wohnmodell für die Zukunft liegt. Auch das Teilen von Arbeitsräumen wird nach dem durch die Pandemie bedingten Schub für das Homeoffice einen neuen Stellenwert erhalten. Gemeinschaftliches Bauen, Wohnen und Arbeiten kann eine Antwort auf die Frage nach flächenschonendem, klimaverträglicherem Wohnbau sein.

Besonderes in Zeiten wie diesen, in denen Corona-Maßnahmen die Vereinsamung nochmals verstärken, kann das Leben in Gemeinschaft einen wichtigen Beitrag zum Wohlbefinden der Menschen leisten und zur „neue Normalität“ im Wohnbau werden.