Mann steht auf Fels in der Brandung
Die Arbeit in der Gemeinde war nie einfach.
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Bürgermeister - Stabile Anker in stürmischen Zeiten

„Bürgermeister sein ist der schönste Job der Welt!“ Diese Aussage hört man oft, wenn man mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern redet. Je genauer man aber hinhört, desto mehr verdichtet sich der Eindruck, dass das eigentlich kein „Job“ ist, vielmehr ist es für viele eine „Berufung“. Zu dieser Berufung zu stehen, auch wenn man angefeindet wird, ist eine Leistung, der viel zu selten gedacht wird.

Eigentlich muss ich Ihnen als Leserin, als Leser, nicht wirklich viel über die Beweggründe, den Job zu machen, erzählen. Sie werden das auf jeden Fall besser wissen. Aber aus meiner eigenen Erfahrung nimmt ein Amt, das man quasi nonstop ausfüllt und lebt, einen so her, dass die Beweggründe in den Hintergrund rücken. Dann schwindet das Wissen, warum man etwas macht, und macht der Frage Platz, warum „ich mir das antue“.

Dann ist es schon gut, wenn ein Blick von außen kommt und Dinge wieder klarstellt. Dass der weit überwiegende Teil der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister den Job macht, weil sie ihre Gemeinden aktiv mitgestalten wollen. Weil sie für ihr Zuhause positive Veränderungen herbeiführen wollen. Sie sehen sich als Schnittstelle und Ansprechpartner unterschiedlicher Meinungen und Ideen und möchten so gemeinsame Lösungen für ihre Gemeinden entwickeln. 

Je kleiner die Gemeinde ist, desto mehr rückt ein weiterer Punkt in den Fokus: Es geht um den direkten Kontakt mit den Menschen vor Ort und um die Möglichkeit, unmittelbar auf deren Anliegen einzugehen – das ist für viele Gemeinde­mandater:innen ein wesentlicher Antrieb. Die Wertschätzung und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger motivieren, sich für das Gemeinwohl einzusetzen.

In der jüngeren Vergangenheit hat sich das besonders bei der Covid-Pandemie gezeigt. Was Bürgermeisterinnen und Bürgermeister da geleistet haben, wie sie in dieser herausfordernden Zeit als Krisenmanager fungiert und maßgeblich zur Bewältigung dieser außergewöhnlichen Situation beigetragen haben, ist fast schon wieder in Vergessenheit geraten. 

Arbeit in der Gemeinde war nie einfach

Außergewöhnliche Situationen zu bewältigen, wurde den Bürgermeistern praktisch schon in die Wiege gelegt. Mit Blick auf das kommende Jubiläumsjahr 2025 sei dieser Rückblick gestattet: Die Gründung der Republik 1945 wäre nicht so rasch gelungen, wären in den Gemeinden nicht Männer und Frauen gewesen, die unser Land und vor allem unsere Gemeinden aus dem Chaos der ersten Nachkriegszeit getragen hätten. Nicht umsonst überschrieb der erste Nachkriegs-Innenminister Oskar Helmer ein Kapitel seiner „Lebenserinnerungen“ mit den Worten „Das Lied vom tapferen Bürgermeister“. 

Das Lied wird auch heute noch „gesungen“. Oder es sollte jedenfalls gesungen werden! Wie bei jedem Job ändern sich im Laufe der Zeit auch diese Herausforderungen. Die Arbeit als Bürgermeisterin, als Bürgermeister – und auch die eines, einer Gemeindemandatar:in – war immer verbunden mit einer sehr hohen Arbeitsbelastung sowie einer unzureichenden finanziellen und sozialen Absicherung. Komplex war die Arbeit auch immer schon – heute allerdings ist die Komplexität oft gesteigert bis an kaum greifbare Grenzen. 

Und dennoch überwiegt bei den allermeisten der Wunsch, einen positiven Beitrag zur Entwicklung ihrer Gemeinde zu leisten.  Vor allem beim Faktor „Nähe zu den Menschen vor Ort“ hat sich einiges getan. Diese Nähe ist immer noch da, aber auch sie hat sich verändert. Und das Vertrauen ist immer noch hoch: So vertrauen 75 Prozent der Menschen der Polizei, 64 Prozent der Justiz und den Gerichten, 60 Prozent der öffentlichen Verwaltung und dann kommen bereits die Bürgermeister, wie die jüngste Umfrage zu den Vertrauenswerten in der Gesellschaft offenlegte. 

Vertrauen muss jeden Tag gewonnen werden

„Die wichtigste Währung in der Politik ist das Vertrauen – das Vertrauen in die Politikerinnen und Politiker, in die staatlichen Organisationen und in den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gerade mit dem Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen ist klar: Wir alle sind gefordert, das Vertrauen unserer Landsleute in unsere Demokratie jeden Tag aufs Neue zu gewinnen. In den Gemeinden sind wir es gewohnt, mit und vor allem für unsere Bürgerinnen und Bürger gemeinsam zu gestalten“, erklärt dazu Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl.

Bei allem Vertrauen: Etwas hat sich verändert. Der bekannte Psychologe Reinhard Haller meinte im jüngsten Gemeindebund-Podcast: „Früher, als das Amt noch sehr attraktiv war, konnte man sich letztlich immer auf eine Machtposition berufen. Heute muss der Bürgermeister viele Funktionen übernehmen, die eigentlich nicht zu seinem Amt gehören: Er muss für alle ein offenes Ohr haben, er muss Konflikte schlichten, also Mediator sein, und er sollte Psychotherapeut sein, weil ihm viele Menschen ihre Probleme bringen und sie ihm überantworten. Der Bürgermeister muss auch etwas von einem Sozialarbeiter haben und zumindest wissen, wo man die passende soziale Unterstützung erhält.“ 

Bürgermeister müssen sich einerseits durchsetzen und andererseits Mediatoren sein

Es gibt allerdings einen Grund, warum man als „Mediator“ eine Ausbildung macht. Das ist für sich schon wieder eine Berufung, aber eine ganz andere. 

Ein Grund, aus dem jemand zum ersten Bürger, zur ersten Bürgerin gewählt wird, ist ganz einfach der, dass er oder sie sich durchsetzen kann. Ob er oder sie sich jetzt gegen andere Kandidaten durchsetzt oder einfach die Interessen des Ortes gegen „andere“ vertritt, scheint nebensächlich.

In einem früheren Interview mit KOMMUNAL sprach der Psychologe Cornel Binder-Kriegl­stein davon, dass wir die „Menschen, die das Amt ausfüllen, brauchen und auch wollen. Sie sollen für uns sprechen, uns in heiklen Dingen vertreten und sich für die Weiterentwicklung der Gemeinden einsetzen. Es muss sie geben, dafür haben wir sie gewählt.“

Wie es unter einen Hut zu bringen ist, sich durchzusetzen UND ein Mediator zu sein, ist eine andere Frage. 

Am ehesten wird dieser Spagat noch mit der Möglichkeit funktionieren, seine „Vorgangsweise zu erklären“. Binder-Krieglstein meint in einem aktuellen Gespräch damit, einem Bürger „die Möglichkeit der Anhörung zu geben, auch wenn er vielleicht keine rechtliche Parteienstellung hat“ und dem Bürger damit einfach das Gefühl zu geben, dass „er auch was sagen kann – oder Dampf rauslassen kann“. 

„Dampf rauslassen“ als Mittel gegen Anfeindungen

Binder-Krieglstein bringt damit einen Punkt ins Spiel, der immer wichtiger wird. Anfeindungen gegen Amtsträger, gegen Bürgermeisterinnen, gegen Bürgermeister, der viel beschworene „Hass im Netz“ bis hin zu immer wieder vorkommenden Gewaltausbrüchen. So wie es sich darstellt, ist es aber auch die Frage um die „Kunst des Neinsagens in der Kommunalpolitik“.

Diese „Kunst des Neinsagens“ ist gerade in der Kommunalpolitik essenziell. Neinsagen ist hier oft keine Frage der Wahl, sondern der Pflicht. „Ein Nein ist in unserer Kommunikationswelt eine klare Grenze“, erklärt Cornel Binder-Krieglstein: „Es ist ein Versuch, jemandem zu zeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist.“ Doch besonders in Österreich, wo die Suche nach Kompromissen tief in der Mentalität verwurzelt ist, wird das Nein häufig umgangen oder verschleiert. Das führt mitunter zu Missverständnissen und Frustration, insbesondere wenn es um heikle Themen wie Bauverbote oder Abrissbescheide geht.

Bürgermeister müssen oft Nein sagen

Während ein Nein im privaten Umfeld schwierig sein kann, ist es in der öffentlichen Verwaltung oft unausweichlich. „Als Bürgermeister muss man Gesetze durchsetzen – auch gegen Widerstände“, so Binder-Krieglstein. Dabei spielt die Größe der Gemeinde eine wesentliche Rolle: In kleineren Orten kennt man einander persönlich, was Entscheidungen zusätzlich emotional aufladen kann. In größeren Städten übernehmen oft Magistratsabteilungen die Kommunikation, der viel besungene „Apparat“. 

„Ein Bescheid, der beispielsweise den Abriss eines Wochenendhauses in der Grünzone fordert, wird selten ohne umfassendes Verfahren erstellt“, sagt Binder-Krieglstein. Dennoch fühlen sich Betroffene oft überrumpelt. Hier sieht er Handlungsbedarf: „Eine nachvollziehbare Kommunikation und das Einbinden der Betroffenen in den Prozess können helfen, Eskalationen zu vermeiden.“

Besonders in emotional aufgeladenen Situationen können psychologische Unterstützungsmaßnahmen sinnvoll sein. „Viele Tragödien entstehen, weil Konflikte über Jahre hinweg ungelöst bleiben und sich aufstauen“, warnt Binder-Krieglstein.

Es sei essenziell, Anzeichen von Überforderung oder Aggression frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig Fachkräfte einzubeziehen. In kleinen Gemeinden fehlen oft die Ressourcen für psychosoziale Betreuung, doch auch hier ließe sich durch bessere Zusammenarbeit mit übergeordneten Stellen viel bewirken.

Ein Punkt, dem auch Reinhard Haller zustimmt: „Als Bürgermeister hat man das Pech, dass viele Dinge auf einen projiziert werden und man für vieles verantwortlich gemacht wird. Die Tat in Oberösterreich Ende Oktober war beispielsweise ein typisches Kränkungsdelikt. Objektiv sind das oft Kleinigkeiten, subjektiv, für den Betroffenen, bedeuten diese Dinge oft die Welt. Der Täter war offenbar narzisstisch kränkbar und wurde, aus seiner Sicht, enorm beleidigt. Sein Aggressionspotenzial blieb offenbar weitgehend verborgen und ist nur gelegentlich aufgeblitzt. Er sah sich dann aber in seinem Gerechtigkeitsgefühl verletzt und hatte das Bedürfnis, seine subjektive Gerechtigkeit wiederherstellen zu müssen.“

Amoklauf oder Mord?

Hier muss allerdings klargestellt werden, dass der ermordete Bürgermeister von Kirchberg an der Donau nicht wegen einer Amtshandlung in das Verbrechen verwickelt worden ist, sondern wegen eines mehr oder weniger privaten Streits um Jagdrechte. Zumindest deutet aus dem bekannten Stand der Ermittlungen nichts auf andere Zusammenhänge hin.

Gleichwohl dürfte die Tat mehr „Amoklauf“ denn Mord gewesen sein, wie auch Binder-Krieglstein meint: „Ob das in Oberösterreich ein Doppelmord war oder ein Amoklauf, ist möglicherweise eine akademisch-theoretische Diskussion. Aber man könnte sich jetzt natürlich anschauen, wie Morde und wie Amokläufe „funktionieren“. Grosso modo passieren rund 70 Prozent der Morde in Österreich im Rahmen eines Beziehungsverhältnisses, also in der Familie, in der Partnerschaft.

Beim Amoklauf ist es so, dass sich der spätere Täter emotional zurückgesetzt, beschränkt, beschnitten oder schlecht behandelt fühlt. Jemand, der aus seiner Sicht Kränkungen immer und immer wieder ausgesetzt ist und noch immer eins draufkriegt und damit aber nicht umgehen kann. Der hat kein ausreichendes soziales Netz, mit dem er das besprechen kann, keine Strategien, wie er mit diesen Kränkungen umgehen kann. Er hat keine adäquaten Konfliktlösungsstrategien, kann keine Gruppenstrategien entwerfen. Und so staut sich es immer weiter auf und auf und auf.

In der nächsten Phase zieht sich so jemand immer mehr in sein Inneres zurück und ist in seiner eigenen, inneren Welt unterwegs und quält sich oft mit Fragen wie: ‚Haben die was gegen mich?‘

In der dritten Phase ist es dann so weit, dass er sich sagt: ‚Jetzt stelle ich Gerechtigkeit her. Jetzt zeige ich denen, dass die ein Nichts sind und ich der Stärkere bin.‘ Er dreht die Situation um und stellt eine Situation her, wo er bestimmt, was jetzt passiert. Zum Beispiel mit einem Gewehr in der Hand. Das ist ein typischer Amoklauf, der ist geplant, das ist vorbereitet. Er weiß, gegen welche Person und um wie viel Uhr mit welcher Waffe er vorgehen will, und so weiter.“

Fingerspitzengefühl gefragt

Was tun in einem Fall, wo Emotionen ins Spiel kommen? Obgleich beide Psychologen beruhigen, dass sich solche Taten nicht gehäuft haben oder gar speziell gegen Amtsträgerinnen und Amtsträger richten, ist dennoch ein bisschen Fingerspitzengefühl im Umgang von Vorteil. 

Binder-Krieglstein empfiehlt, dass „man sich anschaut, wie eine Person im Rahmen einer Amtshandlung oder im Rahmen des Abarbeitens eines Aktes etwa mit einem drohenden Abbruch-Bescheid oder eine Wegnahme von Tieren umgeht.“  

Wenn ein Betroffener, eine Betroffene schreit: „Jetzt nehmen sie mir meine Tiere weg, das gibt’s ja nicht!“ oder „Nein, das geht auf keinen Fall, das geht gar nicht und das dürfen Sie auch nicht!“, dann sollte man sich die Frage stellen, wie so jemand mit einem negativen Bescheid umgehen wird. Ist er oder sie vielleicht sonst schon am Amt auffällig geworden, weil er vielleicht schon seit sieben Jahren mit den Nachbarn um drei Zentimeter Grünstreifen streitet? Steht hier die Aggression im Vordergrund? Hat er ein unterstützendes Umfeld etc.? Das wären für Binder-Krieglstein Kriterien, wo man hellhörig werden sollte.

„Da würde ich mir anschauen, ob es vielleicht einen Sozialarbeiter oder eine Psychologin an der BH gibt, die hinzugezogen werden könnten. Wenn das jetzt eine kleine Ortschaft ist, wird es das wahrscheinlich weniger geben, aber dann kann man sich eventuell nach anderen Möglichkeiten umschauen.“

Aggressionen wurden früher durch körperliche Arbeit abgebaut

Die zentrale Frage ist, wie Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Gemeindemandatare mit der Situation umgehen sollen.
Reinhard Haller meint im Gemeindebund-Podcast, dass es „in unserer Gesellschaft ein sehr großes, aggressives Potenzial gibt – vor allem bei jungen Männern –, das nicht auf andere Weise befriedigt werden kann. Früher war das anders, da wurden diese Aggressionen durch körperliche Berufe sublimiert und ‚abgearbeitet‘. Das hat sehr viel aggressives Potenzial gebunden. Heute gibt es mehr Berufe, bei denen man viel sitzt und sich nur wenig bewegen muss. Daher brauchen die Menschen ein Ventil. Das kann im Internet sein, wo sich Aggressivität oft virtuell abspielt. Das ist für Betroffene oft schlimm. Anderseits ist es oft ein Puffer, wenn Menschen ihre Frustration im Internet herauslassen und nicht körperlich tätlich werden.“

Er gibt auch einen Lösungsansatz, nämlich „zornigen Menschen das Gefühl geben, dass sie einen neuen Aspekt einbringen, den man noch zu wenig bedacht hat. Damit kann man ihnen viel von ihrer Aggression nehmen. Die Gemeinschaft spielt hier eine wichtige Rolle. Das ist ein Vorteil, wenn eine Gemeinde klein ist, weil es hier weniger Anonymität gibt und man eher das Gefühl hat, in einer großen Familie zu sein.“ 

Was ist ein „Amoklauf“?

Als Amok (von malaiisch „amuk“ – „wütend“, „rasend“) bezeichnet man einen (Massen-)Mord …, der aufgrund einer psychischen Erkrankung mit Realitätsverlust begangen wird und bei dem der Täter das Risiko, selbst getötet zu werden, in Kauf nimmt …

Der entsprechende Vorgang wird als Amoklauf oder Amoktat bezeichnet, der Täter als Amokläufer oder Amoktäter oder auch als Amokschütze … Es gilt heute als empirisch abgesichert, dass eine Vielzahl der Taten nicht impulsiv stattfindet, sondern oft sogar über mehrere Jahre hinweg detailliert von den Tätern geplant wurde. In der aktuellen wissenschaftlichen Literatur werden Amoktaten deshalb wie folgt definiert:

„Bei einem Amoklauf handelt es sich um die (versuchte) Tötung mehrerer Personen durch einen einzelnen, bei der Tat körperlich anwesenden Täter mit (potenziell) tödlichen Waffen innerhalb eines Tatereignisses ohne Abkühlungsperiode, das zumindest teilweise im öffentlichen Raum stattfindet.

Quelle // https://de.wikipedia.org/wiki/Amok