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Bürgermeister der Vielvölkergemeinde
Manfred Wagner ist ein „Michl gradaus“. Um den heißen Brei herumreden ist das Seinige nicht, sondern die Leute mit den Tatsachen konfrontieren und sagen, wie es ausschaut. „Das ist vielleicht nicht die diplomatischste, aber dafür die direkte und ehrlichste Vorgehensweise“, erklärt der 57-jährige Bürgermeister aus dem burgenländischen Rotenturm an der Pinka. Die Politik hat ihn schon seit jeher interessiert.
„Meine Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft, und die Mama und der Papa haben nebenbei auch Wein verkauft. Deshalb waren jeden Tag viele Leute bei uns, und es ist politisiert worden wie im Wirtshaus. Ich habe immer nur „Kery, Kery“ gehört (Burgenländischer Landeshauptmann Theodor Kery 1966-1987, SPÖ, Anm.. d. Red.), und als Kind gar nicht mitbekommen, dass es noch eine andere Partei gibt“, erzählt Wagner aus seinen Kindheitstagen.
„Mein Papa war ein Erz-Roter. Ich werde mich zum Beispiel immer an das Mittagessen erinnern, als mein Vater sagte, er geht jetzt in Pension und legt das Parteibuch zurück, und ich müsse es deshalb jetzt nehmen. Das war gar keine Frage, sondern ein Automatismus. Damals war das noch so. Wenn ich das so heute meinen Kindern sage, würden sie mich fragen, ob ich deppert bin“, verdeutlicht der Ortschef die Unterschiede zu seiner Jugendzeit.
24 Jahre lang Pflasterer bei Wienerberger
Durch sein politisches Interesse kam er in die Fraktion, später in den Gemeinderat, den Gemeindevorstand und schließlich wurde er Bürgermeister. Bis es allerdings so weit war, lebte Manfred Wagner ein arbeitsreiches Hackler-Leben. 24 Jahre lang war er Pflasterer bei der Firma Wienerberger. Danach wurde er Gemeindemitarbeiter in seinem Heimatort. Von 2009 bis 2017 war er am Bauhof beschäftigt, und spätestens seit da, „kenn ich jede Straße, jeden Wald und jedes Gebäude.“ Das sollte ihm später auch noch zugute kommen.
Als er zur Bürgermeisterwahl antrat, hatte er noch seine Zweifel: „Wer würde schon einen Gemeindemitarbeiter zum Bürgermeister wählen wollen, habe ich mich gefragt. Doch meine handwerkliche Vergangenheit hat mir schwer in die Karten gespielt. Weil ich fast bei jedem Haus in Rotenturm gearbeitet habe, hat mich praktisch jeder gekannt“, berichtet Wagner. 2017 wurde er zum ersten mal ins Bürgermeisteramt gewählt und leitet seitdem die Marktgemeinde Rotenturm an der Pinka im südlichen Burgenland.
Rotenturm liegt rund fünf Kilometer südlich von der Bezirkshauptstadt Oberwart. Bevor diese Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls das Marktrecht bekam, spielte eigentlich gut 450 Jahre lang in Rotenturm die Musi, das schon seit 1402 Markt und somit der Place-to-be in der größeren Umgebung war.
Drei Volksgruppen - drei Ortschaften
„Rotenturm ist eine lebenswerte Gemeinde mitten im Grünen, in der man sich von der ersten Minute an Wohlfühlen kann, wenn man den Kontakt zu den Menschen sucht“, beschreibt Wagner seine Heimat. Hier gibt es unter anderem den Fischteich, Wanderwege, das Schloss Rotenturm oder das Schnapsglas-Museum mit über tausend Exponaten und natürlich auch einer dazugehördenden Verkostung. Schließlich leben im Ort einige prämierte Schnapsbrenner. Wirklich einzigartig ist Rotenturm auch deshalb, weil es die einzige dreisprachige Gemeinde in Österreich ist. Die Volksgruppen leben vornehmlich jeweils in den drei Ortschaften der Gemeinde, erklärt Wagner: „Rotenturm ist rein deutschsprechend, Siget in der Wart ist ungarisch, und Spitzzicken ist kroatisch. Roma haben wir darüber hinaus auch, und wir kommen alle sehr gut miteinander aus.“
Wagner kennt die Volksgruppen und ihre Bedürfnisse genau, weiß um die Nuancen und Schwerpunkte bestens Bescheid. Er verdeutlicht das an einem Beispiel aus der Zeit, als er als Gemeindemitarbeiter auch für die Grünraumpflege zuständig war:
„Jeder Ort hat seine eigenen Befindlichkeiten. So ist im kroatisch-katholischen Spitzzicken zum Beispiel der Friedhof sehr wichtig. Der muss immer vorbildlich gemäht sein. In Siget ist das wieder ganz anders. Siget ist evangelisch und ungarisch sprechend. Da ist der Friedhof nicht so wichtig, dafür ist der dortigen Bevölkerung die Ortschaft umso wichtiger. Das Ortsbild muss gepflegt sein. Da merkt man schon die Mentalitätsunterschiede.“ Ein reges Gemeinschaftsleben ist allen drei Orten aber gemeinsam.
Es gibt um die 30 Vereine, und alle Vereine haben ein eigens Vereinslokal. In der Kampfmannschaft des Fußballvereins sind gegenwärtig zwar nur zwei Rotenturmer vertreten, dafür kommen über 80 Kinder aus der Umgebung zum Nachwuchstraining, und lassen den Bürgermeister so auf eine rosige Zukunft für die örtliche Mannschaft hoffen.
Apropos Nachwuchs: Rotenturm hat heuer einen neuen Kindergarten erhalten, auf den Wagner sehr stolz ist. Genauso freut er sich über das neue Kommunikationszentrum in Spitzzicken. In dem kroatisch geprägten Ort haben nämlich die Wirtshäuser zugesperrt. „Darum wurde die alte Volksschule zu einem Kommunikationszentrum umgebaut, damit die Spitzzickener auch weiterhin die Möglichkeit und einen Ort haben, um sich zu treffen, zu tratschen und zu feiern“, erklärt Wagner. Und auch in Siget in der Wart tut sich etwas. Eben erst wurde die Kanalisation der ungarischen Ortschaft vollständig digitalisiert.
Kanalisation wird modernisiert
„Wir sind jeden Meter des Kanals mit einer Kamera abgefahren, haben nun die komplette Übersicht über den Zustand und können ab sofort auf Situationen bereits reagieren, bevor eine Katastrophe überhaupt eintritt“, freut sich Wagner. Rotenturm hat das Digitalisierungsprozedere bereits hinter sich, und auch Spitzzicken wird heuer noch abgeschlossen.
Der Kanal wird auch weiterhin auf der Prioritätenliste weit oben stehen. Wagner ist sich sicher: „Die Themen, die uns in Zukunft beschäftigen werden, sind meiner Überzeugung nach die Straßen und der Kanal, der teilweise schon recht unterdimensioniert ist.“
Wiederwahl in schwieriger Zeit
Die Chancen stehen gut, die Herausforderungen konstruktiv anzugehen. Die Gemeinderatsbeschlüsse sind zu 99 Prozent einstimmig. Das war 2008/2009 noch anders. Mit seiner Schwerpunktsetzung dürfte Wagner auch richtig liegen, denn die Bevölkerung goutierte seine Führungsqualitäten. Sie hat ihn 2022 mit noch höherer Zustimmung als beim ersten Mal für eine zweite Amtszeit wiedergewählt, wenngleich die Umstände für Wagner schwierig waren:
„Am 2.Oktober waren die Wahlen und am 14. Oktober ist meine Frau verstorben“, erinnert sich Wagner, „Die Zeit davor lag sie bereits im Spital und ich war jeden Tag bei ihr, und habe sie besucht, so oft ich konnte. Mir war meine Frau wichtiger als der Wahlkampf. Daher ist eigentlich überhaupt kein Wahlkampf passiert. Die Menschen haben das offenbar nachvollziehen können, verstanden und mich mit 85 Prozent wiedergewählt. Diese Umstände - das sage ich offen und ehrlich - haben sicher auch zu dem Ergebnis beigetragen, nicht nur meine - vorsichtig gesagt - gute Arbeit“, vermutet Wagner.
Manchmal geschehen eben unverhofft gute Dinge, die man in der Form gar nicht erwarten oder beeinflussen hätte können. Das trifft auch auf das Schloss in Rotenturm zu. „Das Schloss war jahrelang im Besitz des Landes Burgenland und zunehmend in einem katastrophalen Zustand. Es wurde immer nur das Notwendigste getan, und das Gebäude war mittlerweile fast schon zu einer Ruine verfallen. Man hat schon vom Abriss gesprochen und dahingehende Gerüchte machten wiederholt die Runde“, erzählt Wagner. Doch dann kam der Wiener Immobilien-Versicherungsexperte Heinz Schinner und erwarb das, dem Verfall Preis gegebene, Märchenschloss.
„Meines Wissens nach hat er das Schloss dem Land Burgenland um einen symbolischen Euro abgekauft, mit der Verpflichtung, es binnen zehn Jahren zu renovieren bzw. wieder herzurichten. Das hat er auch getan, und das Schloss ist wirklich ein Schmuckkasten geworden. Jetzt kann man darin heiraten, Geburtstage feiern oder andere Veranstaltungen ausrichten, und man kann auch Führungen mitmachen. Dahingehend haben wir ein Riesenglück mit dem Herrn Prof. Schinner gehabt. Den hat wirklich der liebe Gott geschickt!“, bekennt der SPÖ-Bürgermeister, und man spürt ihm die Erleichterung an, dass das Schloss samt dem zugehörigen Schlosspark im Zentrum der Gemeinde eine gesicherte Zukunft hat.
Nächstes Karriereziel: Opa
„Jedes Jahr einen Schritt nach vorne kommen - das ist das Wichtigste!“, meint Wagner. Die Revitalisierung des Schlosses hat dieses Credo erfüllt und Rotenturm definitiv auch ein Stückchen weiter nach vorne gebracht. An den nächsten schritten arbeitet der Bürgermeister bereits mit Nachdruck: „Ich möchte meine Arbeit gewissenhaft und zu 100 Prozent erledigen“, sagt er. Und auf seine ausständigen Lebenszeile angesprochen, meint er: „Aber irgendwann werde ich meine Ruh haben wollen. Ich will weiterhin gesund bleiben und Opa werden.“
Wagner hat zwei Kinder - einen Buben, der mittlerweile schon 25 Jahre als ist, und ein Mädchen (20), das gerade zu studieren beginnt. „Es mag noch etwas dauern, aber ich hoffe, irgendwann darf ich ein Opa sein. Das ist wirklich mein Herzenswunsch“, bekennt der 57-jährige unumwunden. Es sei ihm aufrichtig vergönnt, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen möge.
Zur Person
Manfred Wagner
Alter: 57
Gemeinde: Rotenturm an der Pinka
Einwohnerzahl: 1.425 (1. Jänner 2024)
Bürgermeister seit: Oktober 2017
Partei: SPÖ