Walter Leiss
Walter Leiss: „Geht es darum, Grund und Boden für die landwirtschaftliche Produktion zur Sicherstellung der Ernährungssicherheit zu erhalten? Oder geht es darum, unsere Landschaft zu erhalten, um Biodiversität und Artenschutz zu ermöglichen.“
© Philipp Monihart

Bodenfraß und Zersiedelung stoppen

Das Thema Bodenverbrauch begleitet uns schon seit mehreren Jahren. Mit einer vorhersehbaren Regelmäßigkeit wird das Thema auch medial verbreitet und diskutiert. Österreich ist Weltmeister im Bodenverbrauch, 12,5 Hektar werden täglich verbaut, und wenn wir so weiter tun, wird es bald keine Landschaft mehr geben. Die Schuldigen sind dabei schnell ausgemacht. Da die Raumordnungskompetenz bei den Gemeinden liegt, sind es natürlich die Bürgermeister.

Es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Flächenwidmungspläne vom Gemeinderat beschlossen werden und einer Genehmigung der Landesregierung bedürfen. Jede Flächenplanwidmungsänderung bedarf einer sachlichen Begründung nach den Vorgaben der Raumordnungsgesetze der Länder. Involviert sind dabei natürlich Sachverständige, Architekten, Raumplaner etc., die ihre fachlichen Beiträge zu leisten haben.

Dessen ungeachtet kommt immer wieder die Forderung, dass die Raumordnungskompetenz auf den Bund übertragen werden müsste, um das Problem zu lösen. Nur die Zentralstellen wüssten, wie es richtig geht.

Menschen brauchen Wohnungen und Infrastruktur

Dabei wird immer so getan, als ob die Verbauung aus Jux und Tollerei erfolgen würde. Eine Verbauung verfolgt bestimmte Zwecke, regelmäßig liegt ein Bedürfnis dahinter.

Ein zentrales Bedürfnis ergibt sich allein aus der Tatsache, dass Österreich in den letzten Jahren enorm gewachsen ist. Am 1. April lebten in Österreich mehr als neun Millionen Menschen. Allein von Jänner bis April stieg die Bevölkerungszahl um mehr als 47.000 Menschen. Für das Jahr 2040 werden mehr als 9,46 Millionen und für das Jahr 2050 bereits 9,62 Millionen Einwohner erwartet.

Diese Menschen brauchen Wohnräume mitsamt der dazugehörigen Infrastruktur: neue Kindergärten und Schulen, aber auch neue Arbeitsplätze müssen geschaffen werden. Für neue Arbeitsplätze benötigt es Unternehmungen, ob klein oder groß, ob Gewerbe oder Industrie, ob Büro- oder Handelsflächen.

Neben der gestiegenen Anzahl von Wohnungen (so stieg die Anzahl des Wohnungsbestandes von 1991 auf 2011 um 450.000 Wohnungen) ist auch die Wohnfläche pro Person in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Und wenn Kinder nicht mehr zu Hause betreut, sondern schon ab dem ersten Lebensjahr in öffentliche Einrichtungen gebracht werden sollen, bedarf es dafür der entsprechenden Infrastruktur. Genauso wenn unser Schulsystem von der bisherigen Form auf eine ganztägige Schulform umgebaut werden soll, ist klar, dass dafür auch die notwendigen Räumlichkeiten geschaffen werden müssen.

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass für die vielen neuen Bauten ein Bedarf besteht. Das wird auch in Zukunft so sein. So wurden aktuell Projekte wie das neue Post-Logistikzentrum auf einer Fläche von 23.000 m² in Wien-Inzersdorf, ein Projekt der Firma AT&S auf 10.000m² in Leoben und eine Milliardeninvestition der Firma Boehringer-Ingelheim in Bruck an der Leitha, vorgestellt.

Dadurch werden tausende hochqualifizierte Arbeitsplätze geschaffen. Und die brauchen wir dringend. Freilich sollte auch eingestanden werden, dass sowohl der Schönheit Österreichs als auch seiner Sicherheit und seines Wohlstandes geschuldet, viele Inländer aber auch EU-Bürger Wohnungen und Gebäude erwerben, um dort einen Zweitwohnsitz zu begründen.

Begrifflichkeiten unklar

Das alles hat Bodenverbrauch zur Folge. Dieser soll auch eingedämmt werden, damit die Schönheit Österreichs erhalten bleibt.

Doch schon bei den Begrifflichkeiten gibt es Meinungsverschiedenheiten.

  • Reden wir von Widmungen, die per se ja noch keinen Verbrauch darstellen?
  • Oder sprechen wir von tatsächlicher Bebauung?
  • Stellt eine Widmung für einen Stadtpark, einen Sportplatz oder den viel zitierten Golfplatz bereits einen Bodenverbrauch dar?
  • Und welche Rolle spielt das allseits beliebte Einfamilienhaus mit Garten, bei dem die Regenwässer entweder über eine Zisterne gesammelt und zur Bewässerung genutzt werden oder in einem Sickerschacht zur Versickerung gebracht werden?

Um diese Frage zu beantworten, gilt es vorweg abzuklären, warum wir überhaupt gegen Bodenverbrauch sind.

Geht es darum, Grund und Boden für die landwirtschaftliche Produktion zur Sicherstellung der Ernährungssicherheit zu erhalten? Oder geht es darum, unsere Landschaft zu erhalten, um Biodiversität und Artenschutz zu ermöglichen oder das Absinken des Grundwasserspiegels durch Hintanhalten der Versiegelung zu stoppen? Gleichzeitig gibt es auch andere wichtige Ziele wie leistbares Wohnen zu ermöglichen oder erneuerbare Energieträger zu installieren.

Ziele widersprechen einander

All diese Ziele lassen sich nicht gleichzeitig realisieren. Vielmehr widersprechen sie einander.

  • Wie verträgt sich die Intensivlandwirtschaft mit Biodiversität und Artenschutz?
  • Ist die Gewährleistung der Ernährungssicherheit wichtiger als der Artenschutz?
  • Und wie verhält es sich mit dem durch den Ukraine-Krieg notwendigerweise beschleunigten Ausstieg aus fossilen Energieträgern und der Schaffung neuer Produktionskapazitäten mit Wasserkraft?
  • Können bzw. sollen wir auf das Ausbaupotential bei erneuerbaren Energieträgern verzichten, um dem Landschafts- und Naturschutz Rechnung zu tragen? Können wir es uns – angesichts des Ukrainekrieges und des drohenden Lieferstopps von Gas und Erdöl - überhaupt noch leisten, langwierige Genehmigungsverfahren für diverse Anlagen durchzuführen oder darauf zu verzichten?
  • Ist die Versiegelung durch Einfamilienhäuser wirklich so negativ für den Grundwasserspiegel, wenn doch sämtliche Niederschlagswässer wieder versickert werden?  Hier wird es alsbald eine Priorisierung geben müssen, weil wir sonst vor ganz anderen Problemen stehen werden. Die Dramatik scheint vielen noch nicht ganz bewusst zu sein.

Neubau von Wohnungen dämpft Preise

Das Ziel, leistbaren Wohnraum zu schaffen, wird man angesichts von Baukostensteigerungen von 40 Prozent durch reine Bodenpolitik nicht näherkommen. Ebenso wenig wird Bodenpolitik die Geldmarktpolitik Europas und der ganzen Welt beeinflussen.

Die Zeit des günstigen Geldes scheint zwar bald vorüber zu sein (Flucht in Betongold), ob es bei steigenden Zinsen günstiger wird, Wohnraum zu schaffen, würde ich bezweifeln. Wie die Märkte auf eine Verknappung von Gütern reagieren, wissen wir.

Üblicherweise hat dies steigende Preise zur Folge. Vom WIFO-Experten Peter Klien wird dazu angemerkt, dass nur durch den Neubau von Wohnungen, also einer Erhöhung des Angebots, eine Preisdämpfung erreicht werden kann. Der Neubau von Wohnungen bringt aber zwangsläufig einen Bodenverbrauch.

Was versteht man eigentlich unter Bodenverbrauch?

Das bedeutet, dass wir zuerst festlegen müssen, was wir überhaupt unter Bodenverbrauch verstehen und im nächsten Schritt festlegen, welche Ziele – die alle ihre Berechtigung haben – wir verfolgen wollen. Erst dann können wir festlegen, wie wir ein Monitoringsystem implementieren können.

Bei dem was auf uns zukommt, steht aber schon jetzt fest, dass es auch in Zukunft zu einem Bodenverbrauch kommen wird. Und ob wir bei den gegenwärtigen Herausforderungen nicht auch das 2,5 Hektarziel revidieren müssen, wird sich weisen.