umgestürzter Baum
Umgestürzte Bäume bieten Lebensraum für Nützlinge.
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Bleibt der Wald auf der Strecke?

Die Erwartungen, die die heutige Gesellschaft an „den Wald“ stellt, könnten unterschiedlicher nicht sein. Frei zugänglich soll er sein, aber gleichzeitig ruhig, weil er ein Rückzugsgebiet für Tiere ist. Genutzt werden soll er, weil das Holz der Bäume wertvoll ist. Die Tiere des Waldes müssen bejagt werden, weil sie sonst den Wald zerstören, aber für natürliche Räuber ist kein Platz. Er soll unberührt sein, weil oft genug aus den Quellen unser Trinkwasser kommt. Und natürlich müssen sich Schuldige finden, wenn sich im Wald mal wer verletzt. Das Dilemma, in dem der Wald steckt, ist nicht ohne.

Eigentlich dachte ich, dass Donald Trumps Aussage von Mitte September vom „Waldland Österreich und seinen Waldstädten“ und dem guten Umgang der Menschen hier mit „explodierenden Bäumen“ der ideale Einstieg für meine Geschichte ist (vermutlich hat er das ölhaltige Holz der Eukalyptusbäume Australiens gemeint, aber eine trockene harzige Fichte kann auch ganz schön schnell in Flammen aufgehen). Ich habe mich dann doch anders entschieden, weil diese „Wuchtel“ (wienerisch bzw. ostösterreichisch für „launiger Sager“) zu abwegig ist. Stattdessen fang ich lieber noch einmal an:

Manche Österreicher wachsen in Wäldern auf

Ich bin mehr oder weniger im Wald aufgewachsen. Als Kind des südlichen Niederösterreichs aus dem Piestingtal waren waldige Hügel und mittelhohe, bewaldete Berge mein Umfeld. Und wenn’s mal nicht der Wald war, dann waren die ruhigen Ufer der Piesting mit ihren Bäumen unser Spielplatz. Das waren jetzt keine Auen, sondern einfach bewachsene Ufer, wo es sich in den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Schatten der Bäume trefflich herumtoben ließ. Und bei mir zu Hause im Ort gab’s ja auch (und gibt’s immer noch) ein Waldbad und ein Waldstadion für Kicker, Faustballer und andere Sportarten.

Waren Wald und Bäume für mich anfangs ein Ort zum Spielen, ist im Lauf der Jahre eine ideale Gegend für ruhige und einsame Spaziergänge daraus geworden. Dabei ist mir aufgefallen, was „Wald“ sonst noch war. So finden sich am Waldrand im Eingang zum Piestingtal heute noch Schützengräben oder besser Schützenlöcher aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges. Über den Wert von Holz gaben die vielen gestapelten Bäume, die alle paar hundert Meter entlang der Wege lagen, Auskunft. Und wer die Augen genau aufsperrt, sieht an den Bäumen immer noch die Spuren der Harzgewinnung, im Piestingtal früher ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Das „Harzwerk“ hat aber schon Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre zugesperrt, später hat dann Udo Proksch (die älteren Leser werden sich an seinen aufsehenerregenden Kriminalfall noch erinnern) auf dem Gelände seine „Uranaufbereitungsanlage“ zwischengelagert.

Als Jugendlicher habe ich die Liebe zu Pferden entdeckt. Es gab für mich damals kaum Schöneres, als mit einem Pferd an einem heißen Sommertag im kühlen Wald spazieren zu reiten. Übrigens: Im Wald galoppiert man nicht, die Gefahr für das Pferd und einen selbst ist viel zu groß. Und im Schritt sieht man viel mehr und schreckt auch das Wild nicht auf. Nur gab’s immer wieder Wege, wo Äste so platziert waren, dass es für einen Reiter gefährlich sein konnte. Selten zwar, aber es ist passiert.

Auch meine Walderlebnisse haben sich dann irgendwie geändert, wurden spärlicher und anders. Studium in Wien, Heirat und Kinder haben das Ihre getan. Und mit einem Kinderwagen gemütlich Waldwege entlang zu gehen, ist auch ein Walderlebnis. Aber es glich immer mehr einem Parcours. Wenn einen von hinten ein Mountainbiker überholt und mit einem Affenzahn so knapp vorbeizischt, dass der Kinderwagen mit einem Kleinkind darin vom Luftzug her zu wackeln beginnt wie ein Schiff auf hoher See, dann ist das keine erfreuliche Begegnung. Als Vater bedient man sich dann einer eher nicht druckreifen Sprache. Der Biker hat das vermutlich nicht gehört, der war viel zu schnell wieder weg.

Und das ist im Grunde schon ein guter Teil des Interessenkonflikts, der sich im Wald immer noch abspielt. Ein Konflikt, der sich seit 30 oder 40 Jahren emotional immer mehr auflädt und verbissener wird und der nicht nur die Menschen, sondern auch den Wald ins gleich mehrere Dilemmas stürzt. 

Dilemma 1: Naherholung versus Sportarena versus Waldbesitzer

Dieser Dreikampf spielt sich täglich ab, denn sowohl Erholung suchende Menschen als auch Sportler nutzen einen Raum, der ihnen eigentlich nicht gehört. Das österreichische Recht gestattet zwar die Benützung der Wege des Waldes, bezieht aber keine Stellung, wie das passieren soll. Ruhiges Spazierengehen oder Wandern wird kaum jemanden stören (Mist aus dem Wald wieder mitnehmen!). Mountainbiker, die sich an die Wege halten, sind auch gerne gesehen. Beide Gruppen bringen dem kleinen Tourismus und den bäuerlichen Selbstvermarktern willkommene Einnahmen.

Wie man für Mountainbiker zu einem Übereinkommen gelangt, hat die kleine Gemeinde St. Corona am Wechsel aufgezeigt. Dort wurde – auch als Folge des ausbleibenden Schnees für den Wintertourismus – ein Bike-­Trail angelegt. Gemeinsam mit den Waldbesitzern und Jägern haben sich Gemeinde und Karl Morgenbesser, Betreiber des „Wexl-Trails“ und Bike-Parks, darauf geeinigt, dass durch bestimmte Gebiete im Wald Trails angelegt werden, der Rest der Wege und der Wald selbst aber für Biker tabu sind. Die Besucherzahlen sind beeindruckend, vor allem, da durch den Verleih von E-Bikes auch ältere oder wenig geübte Bevölkerungsgruppen angezogen werden.

Es ginge also auch ohne Streit, wenn alle Gruppen bereit sind, sich an Regeln zu halten. 

Dilemma 2: Wirtschaftsfaktor und Naturpark

Das nächste Dilemma ist schon schwieriger, weil es von den Waldbesitzern – vor allem von privaten – verlangen würde, Teile des Waldes überhaupt zu sperren und die Natur zu lassen, wie sie ist. Also Bäume auch sterben und fallen zu lassen, sie dann am Boden liegen zu lassen und damit einen idealen Lebensraum für zahllose Nützlinge (Insekten, Käfer, Würmer, Pilze) zu schaffen. Damit würde auch dem Waldboden wieder Nährstoff zugeführt. Und die Nützlinge würden vermutlich auch Jäger auf den Plan rufen (Vögel), die auch die Schädlinge vertilgen.

Über dieses Thema gibt es sehr viele wissenschaftliche Abhandlungen, die den Nutzen von Totholz bestätigen. Abhandlungen übrigens, die sich meist primär dem wirtschaftlichen Nutzen von Wäldern widmen. Und echte Kahlschläge gibt es ja schon lange nicht mehr. Wird ein Gebiet beispielsweise nach einem Windbruch oder wegen des Borkenkäferbefalls ausgefrostet, ist meistens die Pflicht zur Wiederaufforstung mit im Spiel.

Waldbesitzer, die einen Bezug zum Wald haben, wissen das aber und achten sowieso penibel darauf, dass nicht zu viel Holz entnommen wird. Was aber eine Gefahr für den Wald werden kann, ist die Bodennutzung. Landwirtschaftliche Flächen stehen nach den meisten Landesgesetzen seit einiger Zeit für Bauvorhaben und Siedlungsentwicklung nicht mehr zur Verfügung, auch der Wald ist tabu.

Aber die Gemeinden stehen hier dennoch mit dem Rücken an der Wand. Einerseits dürfen sie kein neues Bauland mehr erschließen und sollen „verdichten“. Andererseits haben sie praktisch keine Handhabe, nicht bauwillige Grundbesitzer zum Verkauf zu bewegen. Wobei es mittlerweile auch hier Gesetze gibt, die einen Baubeginn in einer gewissen Zeit vorschreiben, sonst folgt eine Rückwidmung und damit erlischt das Baurecht.

Gleichzeitig definiert aber das Finanzgesetz über die „Kopfzahl“ der Bevölkerung den Anteil einer Gemeinde am Finanzkuchen, die sogenannten Ertragsanteile. Je mehr Menschen im Ort, desto mehr bekommt die Gemeinde. Eigentlich müssten die Gemeinden, die mit der Natur und dem Boden sorgsam und vor allem sparsam umgehen, durch die Zuerkennung von Steuermitteln belohnt werden – und nicht umgekehrt. Aber das ist ein anderes Thema.

Trotzdem ist dies das Kapitel, wo wir uns fragen sollten, wie wir mit den sogenannten „Baumgreisen“ umgehen sollen. Gemeinden sind hier in einer anderen Zwickmühle, weil viele Wege Gemeindewege sind und sie daher laut dem Wegerecht haftbar gemacht werden können, wenn sie nicht penibel dokumentieren können, dass sie das Menschenmögliche getan haben, um die Benützung der Wege sicher zu gestalten. Aber oft genug werden aus Angst vor Haftungen Schneisen in den Wald geschlagen, werden Baumriesen gefällt, nur weil sie alt sind und Äste dann brechen können. 

Aber auch hier gibt es kluge Abhandlungen. So hat im „Spiegel“ vom 29. Juni 2020 Autor Guido Kleinhubbert berichtet, dass „im Sinne der sogenannten Verkehrssicherheitspflicht viel zu schnell Äste abgesägt“ würden. Durch diese Schnittflächen werden aber Bäume, die seit dem Mittelalter stehen, geschwächt. Andreas Roloff, ein Forstbotaniker aus Dresden, würde sich demnach mehr Gelassenheit im Umgang mit den Baumgreisen wünschen, ähnlich wie in England. „Bevor die einen Baum verstümmeln, stellen die Engländer erst mal ein Warnschild auf“, meint er im „Spiegel“.

Eine Ansicht, der man sich anschließen kann. Auch hierzulande gelten so alte – und meist auch riesige – Bäume als Naturdenkmal und werden mit Holzgerüsten gestützt und verstärkt. Auch sie sind ein Anziehungspunkt für Touristen – Gemeinden mit großen, alten „Dorflinden“ wissen das meist aber sowieso. 

Dilemma 3: Kampfzone Wildtier gegen Mensch

Wirtschaftsfaktor und Naturpark sind nur ein Teil der Betrachtung. Wenn wir sagen, wir wollen den Wald auch als Naturpark und als „naturbelassene Zone“ haben, müssen wir das auch umsetzen. Der Umgang von Wildtieren und Menschen ist ein sensibles Thema. Zu viele Menschen, zu viele Biker, Trailer, zu viel Maschinen im Wald können ganze Wildtierbestände schwächen. Wie sich das auswirkt, haben die Schweizer untersucht (siehe PDF).

Eine der Kernaussagen dieser Untersuchung ist, dass sich Rehe an Menschen auf Wegen gewöhnt haben und nur mehr mit kurzen Fluchten reagieren. Aber wenn die Begegnungen abseits der Wege oder gar bei Nacht passieren (Mountainbiker fahren demnach vermehrt in der Nacht im Wald, was ein „No-go“ ist), bricht Panik aus.

Und wir müssen dafür sorgen, dass es in diesen Zonen ein natürliches Gleichgewicht gibt. Von Pflanzen und von Tieren. Die Pflanzen richten sich das selbst, aber was passiert, wenn beispielsweise Rotwild sich selbst überlassen wird, haben wir schon vor Jahren im Yellowstone-Nationalpark in den USA gesehen. Dort wurden die Wölfe, natürliche Feinde der Hirsche, abgeschossen – als Resultat hat sich das Rotwild derart vermehrt, dass es praktisch den gesamten Park leergefressen hat. Die Amerikaner haben dann aus Kanada gleich drei Wolfsrudel nur für den Yellowstone (immerhin der älteste Nationalpark der Welt) eingeflogen und angesiedelt, in der Folge hat sich die natürliche Balance wieder eingestellt.

Man muss aber auch die Menschen hören und verstehen, die in sehr ländlichen Gebieten und in waldreichen Gegenden leben. Genauso wie man die Züchter und Almbauern hören und verstehen muss.

Hirsche
Die Gemeinschaft von Rotwild und natürlichen Jägern ist so alt wie die Geschichte der Menschheit – und schließt sich auch nicht aus. Ein Problem wird es, wenn die Beute aus Nutztieren besteht. Foto: mixedreality - stock.adobe.com

Kein Wunder, dass die Zustimmung zum Wolf in den Städten und urbanen Gebieten so hoch ist. Die leben nicht mit den (vermeintlichen) Gefahren durch den Wolf. Schafzüchter und Almbauern, die Angst um ihr Vieh haben, würden Wölfe vermutlich lieber abschießen, als einen Modus Vivendi zu finden. In der Schweiz gibt es seit fast 20 Jahren wieder Wölfe, der Streit dort ist genauso erbittert wie bei uns. Aber die Schweizer können Zahlen vorlegen. Rund 200.000 Schafe (von insgesamt 350.000) gehen in der Schweiz auf die „Sömmerung“ (Weidenutzung auf der Alm). Die jährlichen Verluste belaufen sich auf rund 4700 Stück, wovon rund 500 auf das Konto von Wolf, Bär und Luchs gehen. Der Rest stürzt ab oder wird vom Blitz erschlagen.

Nur ein Argument noch: Wölfe und Rehe leben wie Gnus und Löwen in Afrika in einer Symbiose. Nur weil ein Löwe da ist, geraten die Gnus nicht in Panik. Das gilt auch für Wölfe und Rehe. Weil es wieder Wölfe im Wald gibt, herrscht keine besondere Panik unter den Rehen, man muss nicht besonders auf die „Ruhe für die Rehe“ achten. Zudem sorgt diese Symbiose wirklich dafür, dass die gesündesten Tiere überleben.

Aber auch das ist wieder ein anderes Thema. Nur müssen wir uns klar darüber sein, dass „ökologische Waldwirtschaft“ auch heißt, Teile des Waldes und seine Bewohner wirklich sich selbst zu überlassen, nicht mehr zu bejagen oder durch den Winter zu füttern. Mit allen Konsequenzen, die uns vielleicht nicht so gefallen.

Dilemma 4: Schutzbringer, Klimaschützer und Lichträuber

Als Schutzbringer vor Lawinen ist der Wald hoch angesehen. Ganze Dörfer würden möglicherweise nicht mehr existieren, könnten sie nicht auf den Schutz der Bäume vertrauen. Es wäre vermutlich zu gefährlich und daher gibt es in Österreich auch eine sehr lange Tradition von Schutzwäldern.

Und doch habe ich unlängst gehört, dass der Wald nicht überall in den Bergen wachsen darf, damit er nicht alle freien Flächen zuwächst und den Ortschaften im Tal damit das Licht nimmt. Ein Argument, dass vor allem in steilen Gegenden zutreffend scheint, wo es nur wenige Stunden am Tag gibt, wo Licht ins Tal fallen kann. Ein Punkt, den vermutlich nur die betroffenen Gemeinden klären können.

Viel wichtiger ist die Rolle, die der Wald und seine Bäume für den Klimaschutz einnehmen. Auch das ist hinlänglich bekannt: Bäume speichern CO2 und nehmen damit eine wesentliche Rolle für den Klimaschutz ein. Zudem liefern sie in dichter bewohnten Gebieten Schatten und sind ein gutes Mittel gegen die Hitzeinseln in der Stadt (vielleicht kommen daher die österreichischen Waldstädte von Donald Trump). Aber damit sind wir eigentlich nicht mehr im Wald, sondern bei Bäumen.

Und was ist nun die Erkenntnis?

Österreich ist eines der waldreichen Länder in der Europäischen Union. Mit rund vier Millionen Hektar erreicht der österreichische Wald fast die gesamte Flächenausdehnung unseres Nachbarlandes Schweiz (4,13 Millionen ha) oder der Niederlande (4,15 Millionen ha).

Mit einer Waldausstattung von rund 48 Prozent der Staatsfläche liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld und ist nach Slowenien auch das am dichtesten bewaldete Land Mitteleuropas.

Grafik zur Entwaldung

Ein stetiges Anwachsen der Waldfläche Österreichs kann bereits seit der ersten Erhebungsperiode der Österreichischen Waldinventur (ÖWI) 1961/70 von damals 3,69 Millionen auf nunmehr 4,02 Millionen Hektar beobachtet werden. Diese Zunahme des Waldes um rund 330.000 ha in einem halben Jahrhundert entspricht fast der Hälfte der Landesfläche von Salzburg (715.000 ha) oder mehr als einem Drittel von Kärnten (954.000 ha). Oder ein weiterer, seit über 20 Jahren zitierter, traditioneller Vergleich: Die Waldfläche Österreichs wächst um 4762 Fußballfelder pro Jahr, wie es auf der Website waldwissen.net heißt.

Das bedeutet aber auch, dass – nimmt man die steigende Bevölkerung Österreichs und den benötigten Wohnraum gemeinsam mit schrumpfendem Agrarland her – spannende Zeiten auf uns zukommen. Der Konflikt einzelner Gruppen im Wald und um den Wald wird härter werden, die Gemeinden werden weiter noch mehr in die Zwickmühle kommen. Aber wenn wir die Vernunft nicht über Bord werfen und alle sich ein bisschen bewegen (und vielleicht selbst einschränken), geht die Geschichte gut aus. Wenn nicht: Schauen Sie sich mal die Geschichte Haitis mit dem gerodeten Wald an.