Schulärztin
Das derzeitige Schularztsystem ist ineffizient, eine effektive Kinder- und Jugendgesundheitsvorsorge abseits des Mutter-Kind-Passes existiert nicht, meint der Gemeindebund.
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Bei der Schülergesundheit sind Sach- und Hausverstand gefragt

Eine Meldung, die kaum wahrgenommen wird, da sie nicht ins Bild jener passt, die nicht wahrhaben wollen, dass es einen umfassenden Reformbedarf gibt: Österreich liegt bei der Kinder- und Jugendgesundheit im OECD-Ranking auf Platz 27 von 30.

Keine validen Zahlen, keine effektive Gesundheitsvorsorge, geringe Durchimpfungsraten, schlechter Gesundheitszustand, keine Beratung, keine Gesundheitsbegleitung, keine zielgerichteten Maßnahmen (Präventionsprogramme, Informationskampagnen, Gesundheitsprojekte).

Dass es um die Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich schlecht bestellt ist, hätte keines Rankings bedurft. Das derzeitige Schularztsystem ist ineffizient, eine effektive Kinder- und Jugendgesundheitsvorsorge abseits des Mutter-Kind-Passes existiert nicht.

Dass der Gemeindebund mit seinem Vorschlag, das Schularztsystem durch ein anderes System zu ersetzen, in ein Wespennest stechen wird, war von Beginn an klar. Ein heller Aufschrei ging durch die Medienlandschaft:

  • So war – offensichtlich in Unkenntnis des Vorschlages des Gemeindebundes – die Rede von einem „Anschlag auf die Kindergesundheit“.
  • „Gemeindebund will auf Kosten der Kinder sparen“ wurde kritisiert – offensichtlich in Unkenntnis dessen, dass es dem Gemeindebund um einen sinnvollen Einsatz der Mittel im Rahmen eines funktionierenden Systems geht und keinesfalls um Einsparungen.
  • „Das Schularztsystem gehört aufgewertet, nicht abgeschafft!“ wurde laut – offensichtlich in Unkenntnis dessen, dass der Gemeindebund keine ersatzlose Abschaffung, sondern ein System einfordert, das einerseits den Anforderungen an eine funktionierende Kinder- und Jugendgesundheitsvorsorge gerecht wird, andererseits die Bedarfe an Schulen tatsächlich abdeckt.
  • „Die psychische Verfassung der Kinder verlangt nach einem Schularzt“ wurde ebenso betont – offensichtlich in Unkenntnis dessen, dass es hierfür keines Schularztes, sondern anderer geschulter Personen bedürfte (Psychologe oder Sozialarbeiter).
  • Nachdem der Absurdität keine Grenzen gesetzt sind, war sogar von einem „Angriff auf die Männergesundheit“ die Rede, da männlichen Jugendlichen die Möglichkeit genommen würde, mit dem Schularzt (an Bundesschulen sind es zumeist Schulärztinnen) über allfällige Störungen ihrer sexuellen Entwicklung zu sprechen.

Beruhigend und schockierend zugleich ist, dass es sich dabei um die veröffentlichte Meinung von Vertretern bestimmter Personengruppen handelt, die sich aber von der öffentlichen Meinung und auch von der Meinung der vertretenen Personengruppen deutlich unterscheidet.

Eltern, Lehrer und Ärzte sind anderer Meinung

Fragt man Eltern, Lehrer und (Haus-)Ärzte, oder verfolgt man die Meinungen in den Sozialen Medien, die durchaus Gradmesser der öffentlichen Meinung sind, dann erhält man jenes Bild, das auch den Tatsachen entspricht: das Schularztsystem, das zuweilen für die Schulgesundheit und die Kinder- und Jugendgesundheit(svorsorge) verantwortlich zeichnet, gehört von Grund auf reformiert.

Allen Tatsachen zum Trotz soll jedoch weiterhin an einem System festgehalten werden, das nicht Lösung, sondern vielmehr Ursache für die vielen Probleme in der Kinder- und Jugendgesundheit ist. Nicht mit Hysterie, sondern mit Mut, Wille, Sach- und Hausverstand sollte an geeigneten Lösungen gearbeitet werden.

Vorschlag Gemeindebund „Schülergesundheit Neu“

Das vom Gemeindebund vorgeschlagene Modell differenziert, anders als das Schularztsystem, zwischen der Kinder- und Jugendgesundheitsvorsorge, die im Wege einer Erweiterung des Mutter-Kind-Passes sichergestellt wird, und den tatsächlichen Bedarfen an Schulen, die mittels interdisziplinärer Teams abgedeckt werden.

Erweiterung Mutter-Kind-Pass zu einem Kinder- und Jugendgesundheitspass:

  • Der in der Verantwortung der Eltern und deren Vertrauensärzte liegende Mutter-Kind-Passes wird zu einem umfassenden Gesundheits‐ und Entwicklungspass für Kinder und Jugendliche erweitert.
  • Eltern (Erziehungsberechtigte) übernehmen wieder mehr Verantwortung im Rahmen ihrer Obsorge‐ und Fürsorgepflichten.
  • Verpflichtende   periodische    Vorsorgeuntersuchungen im Rahmen des erweiterten Mutter-Kind-Passes (Kinder- und Jugendpass) beim vertrauten Hausarzt oder Kinderarzt. Auch eine Koppelung an die Gewährung von Sozialleistungen ist denkbar (Sanktionsmechanismus wie bereits beim bestehenden Mutter-Kind-Pass).
  • Untersuchungen beinhalten alle Angelegenheiten, die für die Kinder- und Jugendgesundheit heute und in Zukunft erforderlich sind (Anamnese, Vorsorge, Krankheitsbilder, Mangelerscheinungen, Defizite, Risikofaktoren, chronische Erkrankungen, Fehlentwicklungen, Entwicklungsstatus, Zahngesundheit, Impfprogramm, Impfstatus, Impfberatung, Allergien, Therapieempfehlung, Infektionskrankheiten, Suchtmittelprävention etc.).
  • Untersuchungen werden nicht mehr in der Schule durch den Schularzt, sondern bei einem Arzt (Hausarzt, Kinderarzt) und damit in einer Ordination durchgeführt, in der die richtige Ausstattung für alle Eventualitäten gegeben ist.
  • Anderweitige Untersuchungen (Schulreife, Schulstufensprünge, Fächerbefreiungen) werden ebenso vom Haus‐ oder Kinderarzt durchgeführt, allenfalls auf Anordnung der Schulleitung vom Amtsarzt; auch heute ist für derartige Untersuchungen ein Schularzt nicht zwingend erforderlich. 
  • Bundesweite Vorgaben stellen sicher, dass alle Untersuchungen standardisiert vonstattengehen (Untersuchungsparameter, Untersuchungsmethoden, Intervalle, Dokumentation, statistische Einmeldungen etc.).
  • Ein bundesweites Erfassungsprogramm, das allen Ärzten, die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche durchführen, zur Verfügung steht, bietet Gewähr dafür, dass epidemiologisch relevante Daten erhoben, bundesweit standardisiert und damit einheitlich dokumentiert und statistisch (anonymisiert) eingemeldet werden.
  • Programmtechnisch leicht herstellbar ist auch die automatisierte Einpflegung von Kennzahlen (etwa Postleitzahl oder Schulkennzahl).
  • Damit liegt nicht nur ein bundesweites Gesamtbild (des Zustandes) der Kinder- und Jugendgesundheit vor (Zahngesundheit, Seh- und Hörbehinderungen, Übergewicht, Durchimpfungsrate, chronische Erkrankungen etc.), sondern sind auch anonymisierte (!) Auswertungen regional, lokal und sogar bis auf den Schulstandort hinuntergebrochen möglich.

Aufgaben der Schule

  • Wie bisher wird es Aufgabe der Schule sein, die von den Eltern an die Schule im Rahmen der Fürsorge- und Obsorgepflicht zu gebenden Informationen über Krankheiten und Defizite des Kindes in der Organisation und Unterrichtsarbeit zu berücksichtigen (so bedürfen etwa Seh- oder Hörbehinderungen der Kinder einer bestimmten Platzierung des Kindes in der Klasse).
  • Auf Grundlage von Auswertungen können gezielt bundesweite und spezifisch angepasste regionale, lokale und bis auf den Schulstandort hinuntergebrochen, auch von Seiten der WHO geforderte Gesundheitsprojekte und Initiativen, Gesundheitsschwerpunkte, Aufklärungs- und Informationskampagnen sowie Präventionsprogramme durchgeführt werden.
  • Die Schulen werden zwar von der Pflicht der Bereitstellung der Schularztinfrastruktur entbunden, sind aber je nach Bedarf und Bedürfnissen (Ergebnis von Auswertungen, zielgerichtete Maßnahmen) in Gesundheitsthemen und Projekte – vergleichbar mit Kindergärten – eingebunden (Exkursionen, Unterrichtsarbeit, Projektarbeit).
  • Die infolge der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht ohnedies nur in allgemeiner Form erfolgende Beratung des Lehrpersonals erfolgt im Wege verpflichtender Fortbildungsveranstaltungen.
  • Die Fortbildungen können allgemein, im Wege von Auswertungen aber auch speziell den Bedürfnissen angepasst werden (bspw. Region oder Schulstandort mit auffallend hoher Zahl an Übergewichtigen).

Schaffung interdisziplinärer Teams

  • Um dem tatsächlichen und speziellen Bedarf an einzelnen Schulen Rechnung zu tragen, ist die Möglichkeit des Einsatzes interdisziplinärer Teams unter der Leitung und Koordinierung des Landes, vorzugsweise der Bildungsdirektion (die ja seit der letzten Novelle eine „Bund-Länder Behörde“ ist und daher für alle Schulen eines Bundeslandes zuständig wäre) zu prüfen.
  • Diesen Teams, die aus Schulpsychologen, Sozialarbeitern, Therapeuten, Pflegepersonal aber auch aus Ärzten bestehen können, kommt die Aufgabe zu, bedarfsorientiert für einzelne Schulstandorte beratend und unterstützend zur Seite zu stehen.