Hans Braun
Hans Braun: „Die demokratischen Werte gegenseitiger Toleranz und institutioneller Zurückhaltung müssen verteidigt werden, um diesem schleichenden Zerfall entgegenzuwirken.“

Auch Demokratien können sterben

Die schleichende Zerstörung von Demokratien ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein Prozess, der oft unbemerkt beginnt. Steven Levitsky und Daniel Ziblatt zeigen in ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“, dass moderne Demokratien nicht mehr durch gewaltsame Umstürze, sondern durch den langsamen Erosionsprozess von innen bedroht werden. Gewählte Führer schwächen systematisch demokratische Institutionen und zerstören die Normen, auf denen diese basieren.

Besonders in Europa haben die Autoren alarmierende Beispiele identifiziert: In Ungarn unter Viktor Orbán und in Polen unter der PiS-Partei wurden Medien manipuliert, die Justiz geschwächt und Wahlgesetze zugunsten der Regierenden geändert. Diese „legalen“ Maßnahmen untergraben die Demokratie auf subtile Weise, während gleichzeitig behauptet wird, im Namen des Volkes zu handeln. Ähnlich ist die Entwicklung in Russland und der Türkei, wo autoritäre Führer ihre Macht mit demokratischen Institutionen absichern.

Ein entscheidender Punkt ist die schrittweise Abkehr von der gegenseitigen Toleranz in der Politik. Wenn politische Gegner nicht mehr als legitime Akteure gesehen werden, sondern als Feinde, gerät die Demokratie in Gefahr. In den USA hat diese Polarisierung unter Donald Trump extreme Ausmaße angenommen. Levitsky und Ziblatt warnen, dass solche Entwicklungen die Demokratie von innen heraus zerstören können.

Die Lösung liegt laut den Autoren in breiten politischen Allianzen und Reformen, die die Gewaltenteilung und die ­Unabhängigkeit der Institutionen stärken. Der Zerfall von Demokratien ist ein globales Phänomen, das auch etablierte Demokratien wie die USA oder europäische Länder nicht verschont. Doch die demokratischen Werte gegenseitiger Toleranz und institutioneller Zurückhaltung müssen verteidigt werden, um diesem schleichenden Zerfall entgegenzuwirken.

Italien ist auf dem besten Weg dorthin. Giorgia Meloni, Italiens Regierungschefin mit ihrer offen neofaschistischen Vergangenheit, ist ein Beispiel dafür. Die jüngste Entscheidung des italienischen Höchstgerichts, dass auch „vermeintlich rechtlose Asylwerber“ Rechte haben, beweist, dass Italiens demokratische Werkzeuge (noch) funktionieren. Die nächsten Schritte der Regierung Melonis werden zeigen, wie diese Geschichte weitergeht.

Deutschland ist ein weiterer Indikator: Dass die mehr oder weniger offen rechtsradikale AfD trotz der Wahlgewinne der jüngeren Vergangenheit keine Partner zum Regierung findet, zeigt, dass die demokratischen Parteien Deutschlands aus der Vergangenheit gelernt haben. 

Auch Österreich könnte in künftigen Büchern als Beispiel stehen, wie eine demokratische Gesellschaft mit Versuchen umgeht, mithilfe der demokratischen Institutionen ein autokratisches System aufzubauen.

Zu dem Thema gibt es nicht nur Bücher, sondern auch TV-Dokumentationen. Sie alle zeigen, wie autokratische Parteien mithilfe demokratischer Einrichtungen an die Macht kommen und was dann meistens passiert. Und es gibt Beispiele, wie Demokratien damit umgehen können. Folgen Sie dem QR-Code rechts – die knapp eineinhalb Stunden sind absolut sehenswert.