Anton Mattle
Anton Mattle, hier vor dem Europäischen Parlament: „Bei Einheimischentarifen ist die Europäische Union in manchen Regionen gefordert, um den Einheimischen einen Benefit zu geben – vielleicht auch dafür, dass die Menschen bereit sind, in der Peripherie wohnen zu bleiben und nicht in die urbanen Räume ziehen.“
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„Arbeitsplätze in entlegeneren Regionen müssen erhalten bleiben“

Der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle ist im europäischen Ausschuss der Regionen sehr aktiv. Von der EU fordert er, dass spezielle Tarife für Einheimische auch in Zukunft möglich sein sollen.

Was bewegt Sie, Ihr Mandat im Ausschuss der Regionen persönlich auszuüben und sich nicht etwa durch einen Landesrat oder ein Landtagsmitglied vertreten zu lassen?

Europäische Politik, und damit auch der Ausschuss der Regionen, ist für Tirol vielleicht bedeutender als für andere Bundesländer in Österreich, weil damit auch ganz stark das Innenverhältnis in der Europaregion Tirol mitgetragen wird. Uns ist es wichtig, dass wir als Bundesland Tirol gemeinsam mit Südtirol und dem Trentino eine gemeinsame Stimme haben. Das ist der Grund, warum ich als Landeshauptmann auch die Europa-Agenden übernommen habe.

Wie können Sie im AdR die Anliegen des Bundeslandes einbringen?

Natürlich ist es so, dass in einem Ausschuss mit 329 Mitgliedern eine einzelne Stimme viel Kraft braucht, um mit ihren Anliegen durchzudringen. Allerdings sind ja alle Mitglieder des Ausschusses auch in Parteien organisiert. Und wenn es gelingt, die eigene Partei vom Anliegen einer Region zu überzeugen, dann hat man die Chance, dass das Anliegen als wichtig erkannt wird. Und dann kann man auch Einfluss auf die Politik der Kommission nehmen.

Wie verlaufen die Abstimmungen? Eher nach Fraktionen oder eher nach Ländern?

Es gibt Abstimmungen, in denen ganz klar fraktionell abgestimmt wird. Wenn aber spezielle regionale Themen anstehen, dann kann es durchaus auch vorkommen, dass man ausschert, weil man ein regionales Anliegen zu vertreten hat.

Wie sehen Sie die Rolle des AdR in der Gestaltung der europäischen Politik? Man hat etwas den Eindruck, dass der AdR zwar viele Stellungnahmen abgegeben und Papiere produziert werden, dass aber wenig davon in den Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene einfließt.

Immer wieder wird – auch jetzt im Rahmen der Konstituierung der neuen Europäischen Kommission – der Wunsch geäußert, dass der AdR eine wichtigere Stimme erhalten soll. Denn der AdR, in dem ja nicht nur Landes-, sondern auch Gemeindevertreter vertreten sind, spiegelt ja genau das Prinzip der Europäischen Union wider, wenn es darum geht, regionale Anliegen umzusetzen. Denn es ist nun einmal so, dass regionale Anliegen sich nicht immer mit nationalstaatlichen Anliegen decken.

Hätten Sie, als Sie noch Bürgermeister waren, den Eindruck gehabt, dass der Ausschuss der Regionen oder auch die europäische Regionalpolitik großen Einfluss auf die kommunale Ebene hat?

Man merkt die Einflussmöglichkeiten erst dann, wenn man näher an einer Materie dran ist. Hanspeter Wagner, der Bürgermeister von Breitenwang im Bezirk Reutte, war ja lange als Vertreter der Gemeinden Mitglied im AdR. Er wusste natürlich über alle Themen, die im Ausschuss behandelt wurden, Bescheid, und über Themen, die für uns wichtig waren, hat er den Vorstand des Tiroler Gemeindeverbandes, informiert. Diese Themen sind also schon bei uns Bürgermeistern angekommen.

Tirol steht vor speziellen Herausforderungen, etwa im Verkehr. Welche Rolle kann der Ausschuss der Regionen da spielen?

Die Themen Transit und Verkehrsbelastung sind für ganz Österreich enorm wichtig. In Tirol ist die Belastung allerdings noch höher. Deswegen hat das Land auch viel Geld in die Hand genommen, um den Brenner Basistunnel mitzufinanzieren. Und der Basistunnel ist ein regionales und europäisches Thema, daher ist klar, dass er ein Thema für den Ausschuss der Regionen ist.

Gibt es auch andere Themen, die für Tirol besonders wichtig sind?

Für uns derzeit ein wichtiges Thema ist die Frage besonderer Tarife für Einheimische. Das ist weniger ein Thema der öffentlichen Hand als der Wirtschaft, also der Betreiber von Freizeitinfrastruktur wie etwa Seilbahnen. Die sagen, dass sie nicht nur Werbung nach außen machen müssen, also in Richtung der Gäste, sondern auch nach innen, in Richtung der eigenen Bevölkerung.

Damit die Menschen die Belastungen, die der Tourismus nun einmal bringt, akzeptieren und dass den Gästen das Gefühl vermittelt wird, willkommen zu sein, muss auch jenen Einheimischen etwas geboten werden, die nicht direkt vom Fremdenverkehr leben. Einheimischentarife sind da eines der besten Mittel, um Werbung nach innen zu machen.

Das Problem dabei ist ja, dass solche speziellen Tarife für eine bestimmte Gruppe, EU-rechtlich verboten sind …

Es gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung, es darf also niemand diskriminiert werden.

Allerdings steht Tirol mit dem Thema nicht alleine da. Einheimischentarife werden in ganz Europa angeboten. Das ist keine nationalstaatliche Angelegenheit, denn der Einheimischentarif in Tirol gilt ja für die Tirolerinnen und Tiroler und nicht für ganz Österreich.

Hier ist die Europäische Union gefordert, um den Einheimischen einen Benefit zu geben – vielleicht auch dafür, dass die Menschen bereit sind, in der Peripherie wohnen zu bleiben und nicht in die urbanen Räume ziehen. Daher ist es ein Gebot der Stunde, nach rechtlichen Möglichkeiten zu suchen, um die Einheimischentarife weiterhin zu ermöglichen.

Anton Mattle und Helmut Reindl
Landeshauptmann Anton Mattle im Gespräch mit KOMMUNAL-Redakteur Helmut Reindl.

Wie sehen Sie die Zukunft der Regionalpolitik in der EU, insbesondere in Bezug auf die zunehmende Urbanisierung und, wie sie erwähnt haben, die Abwanderung aus ländlichen Gebieten? Ist die Kohäsionspolitik erfolgreich?

Aus meinen Gesprächen entnehme ich, dass man die Gemeinden stärken möchte. Und zwar in dem Sinn, dass die Gemeinden Europas eine stärkere Stimme in Richtung der Europäischen Kommission bekommen sollen.

Ich habe mich über viele Jahre mit der Entsiedelung des Alpenbogens auseinandergesetzt. Es gibt viele Regionen, die schon vor Jahrzehnten stark entsiedelt wurden und wo auch heute eine starke Fluktuation stattfindet. Wir in Tirol haben es aber geschafft, dass die Menschen bis heute in den Tälern und den Dörfern wohnen bleiben. Und zwar nicht nur, weil die Lebensbedingungen dort gut sind, sondern weil sie dort auch Arbeit finden. Die Politik muss daher auch weiterhin darauf ausgerichtet werden, dass Arbeitsplätze in entlegeneren Regionen auch in Zukunft erhalten bleiben. Eines der Instrumente dafür ist die Tourismuspolitik, und hier sind wir wieder bei der Notwendigkeit von Einheimischentarifen.

Gibt es innerhalb der EU und im Ausschuss der Regionen sonstige Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit mit Nachbarregionen wie Südtirol oder Bayern?

Innerhalb der EU gibt es vier Interreg-Programme, die sich „Euregio“ nennen. Und dann gibt noch die Europaregion Tirol, diese ist aber kein Interreg-Programm, sondern ein europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit.

Ein solcher Verbund hat ganz andere Kompetenzen. Das spielt in der Europaregion Tirol eine wichtige Rolle, weil es darum geht, dass die Zusammenarbeit und die kulturelle Einheit, die auch bei uns in der Landesverfassung steht, auch gelebt werden.

Das Leben dieser kulturellen Einheit ist nur dann möglich, wenn Grenzen nicht mehr spürbar sind. Und das ist ein wichtiges Instrument der regionalen Zusammenarbeit.

Ergänzend sei noch erwähnt – viele wissen das nicht – dass es in der Europaregion ein eigenes Parlament gibt, das staatsübergreifend tagt. Die Landtage von Südtirol, dem Trentino und des Bundeslands Tirol tagen dort gemeinsam und fassen auch gemeinsame Beschlüsse.