Österreich-Karte
Die Daten des Innenministeriums sind deutlich: Wien und einige weitere Städte zeigen sich rot, Niederösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg sind türkis eingefärbt und das Burgenland, die Steiermark, Kärnten und Oberösterreich sind blau.
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Kommunalpolitiker am Wort

Anregungen für die künftige Regierung

Auf einer virtuellen Reise durch Österreich zeigt sich in realen Gesprächen mehrere Wochen nach der Nationalratswahl ein Stimmungsbild, das Ratlosigkeit, Ärger, Neid und Enttäuschung offenbart, aber auch Überraschungen bereithält. Die künftige Regierung muss hier einiges gutmachen.

KOMMUNAL hat nach der Nationalratswahl Bürgermeister und Vizebürgermeister in Gemeinden mit besonders starken Wählerbewegungen zu Wort gebeten und Anregungen, Überlegungen und Wünsche gesammelt. 

Ein Fazit: Die Menschen fühlten sich benachteiligt, Probleme seien totgeschwiegen worden. Die Bezirke und Gemeinden, die sich Richtung FPÖ gedreht haben, sind allesamt mit Herausforderungen konfrontiert, für die die Bundespolitik in der letzten Regierungsperiode keine Lösungen gefunden hat. Geht es nach den Gesprächspartnern, so ist der Auftrag an die zukünftig Regierenden durchaus klar.

Historische Wählerbewegungen

Die Nationalratswahl 2024 ist entschieden, die Mandatsaufteilung im Parlament hinlänglich bekannt. (FPÖ: 57, ÖVP: 51; SPÖ: 41, Neos: 18, Grüne: 16). Die Wählerströme sind analysiert. Derzeit wird meist hinter verschlossenen Türen gesprochen, verhandelt, einiges verlautbart und taktiert.

Draußen, im Land, geht inzwischen das Leben weiter. KOMMUNAL hat sich auf die Suche gemacht, um die Stimmung der Menschen in jenen Bundesländern und Bezirken einzufangen, die sich auf der Nationalratswahl-Landkarte neu in strahlendem Blau zeigen. Bei genauerem Hinsehen fanden sich auch schnell jene Gemeinden, deren Wählerinnen und Wähler dieses Mal am deutlichsten anders gestimmt haben als bei Nationalratswahlen zuvor.

Laut endgültigem Wahlergebnis ist die Österreich-Karte, die auf der Homepage des Innenministeriums präsentiert wird, dreifärbig: Wien und einige weitere Städte zeigen sich rot, Niederösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg sind türkis eingefärbt und das Burgenland, die Steiermark, Kärnten und Oberösterreich sind blau. 

Wandel im südöstlichen Grenzbezirk

Schon am Beginn der Reise von Ost nach West durch Österreich zeigen sich unterschiedliche Motive, warum ehemals eingefleischte Stammwählerinnen und Stammwähler ihr Kreuzerl woanders gemacht haben.

Ganz im Südosten Österreichs, im Südburgenland, genauer im Bezirk Jennersdorf, dem Bezirk mit dem größten Stimmenzuwachs für die FPÖ im Burgenland, hat es in den Gemeinden Jennersdorf, Heiligenkreuz und Mogersdorf die meisten Stimmen für die FPÖ gegeben. Grob gesagt: Was ÖVP, SPÖ und Grüne verloren haben, ging prozentuell an die Blauen. 

In Jennersdorf hatte die ÖVP 2019 noch 41 Prozent der Stimmen. Bei der Nationalratswahl 2024 gingen 41,5 Prozent der abgegebenen Stimmen an die FPÖ. Von den 3.428 Wahlberechtigten gingen 75,4 Prozent (2.585 Personen) zur Urne, davon stimmten 1.061 für die FPÖ, 722 für die ÖVP und 411 für die SPÖ, 134 für die Neos, 110 für die Grünen.

Reinhard Deutsch
Reinhard Deutsch, Bürgermeister von Jennersdorf (JES): „Wir haben die Asylpolitik der vergangenen Jahre hautnah erlebt. Was hier passiert ist, wird nicht vergessen.““

Jennersdorf zeigt sich im Gemeindeblatt und auf der Homepage als aktive, vielseitige, lebenswerte und aufgeräumte Gemeinde mit einem regen Vereinsleben und vielen (auch sozialen) Initiativen.  

Nahe an der ungarischen Grenze ist der Ort jedoch in einer exponierten Lage. Wo drückt die Einwohner der Schuh?

Bürgermeister Reinhard Deutsch (JES) schlägt nachdenkliche Töne an: „Wir haben die Asylpolitik der vergangenen Jahre hautnah erlebt. Was hier passiert ist, wird nicht vergessen. Viele Menschen, die da kommen, sind Wirtschaftsflüchtlinge.“ Vor der ungarischen Grenze würden die Papiere entsorgt, um in Österreich als Flüchtling durchzugehen. „Diese Leute nutzen die soziale Hängematte aus.“ Mittlerweile sei es um einiges ruhiger geworden im Ort. Aber man spüre schon deutlich, wo massive Fehler in der Asylpolitik gemacht wurden und werden. 

Nachwirkungen der Pandemie

Ein weiterer Grund für die Wahlentscheidung vieler Einwohnerinnen und Einwohner laut Bürgermeister Deutsch: Mit dem grünen Koalitionspartner habe man entscheidende Fehler gemacht, die gerade strukturschwache Regionen zu spüren bekommen. Und zu guter Letzt sei in der Corona-Pandemie etwas entschieden falsch gelaufen.

„Gerade in kleinen Orten wie unserem wurde die Bevölkerung gespalten. Hier kennt jeder jeden, da werden unterschiedliche Standpunkte noch deutlicher“, erzählt Deutsch. Zu Beginn hätten alle die Maßnahmen gut mitgetragen, aber was im weiteren Verlauf der Pandemie passiert sei, das hätte so nicht sein dürfen.  All diese Fehler hätten die Jennersdor­ferinnen und Jennersdorfer nicht vergessen.

Für die Regierungsbildung und die künftige Regierung hat er klare Vorstellungen. Bundespräsident Van der Bellen habe den Fehler gemacht, FPÖ-Chef Kickl nicht mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Dies gieße Öl ins Feuer. Kickl hätte den Auftrag kriegen sollen, und wenn er keinen Partner finde, wonach es ja aussehe, dann solle es weitere Gespräche geben. Der neuen Regierung richtet Deutsch aus, dass die Asylpolitik stärker in den Fokus rücken müsse. „Die Leute vergessen nicht, was sie erlebt haben und noch immer erleben.“

Medien machen Stimmung

Eduard Zach, Bürgermeister von Heiligenkreuz im Lafnitztal (SPÖ), sieht für die Zugewinne der FPÖ (+15,9 Prozent auf 36,9 Prozent) auf Kosten der ÖVP (-15 Prozent auf 27 Prozent ), SPÖ (-4,7 Prozent auf 23 Prozent) und Grünen (-1,6 Prozent auf  3,2 Prozent) etwas anders gelagerte Gründe. (Neos verzeichneten eine Steigerung von 2,8 Prozent auf 5,4 Prozent.) Von den 972 Wahlberechtigten wurden 742 gültige Stimmen abgegeben.

Eduard Zach
Eduard Zach, Bürgermeister von Heiligenkreuz im Lafnitztal (SPÖ: „In vielen Bereichen gibt es in Österreich keine einheitlichen Gesetze, es wäre doch sehr sinnvoll, wenn wir dies schaffen.“

„In unserer Gemeinde sorgt die negative Berichterstattung zum Thema Asylpolitik für Aufregung. Die Leute diskutieren die Medienberichte am Stammtisch und manche plappern die negativen Beispiele einfach nur nach“, erklärt er. Den Leuten ginge es gut, der Wohlstand bringe so manchen Einwohner dazu, eine andere Richtung zu wählen. 

Der künftigen Regierung legt er einiges ans Herz: „Erstens gehören klare, österreichweite Festlegungen in der Asylpolitik gemacht, aber nicht nur. In vielen Bereichen gibt es in Österreich keine einheitlichen Gesetze, es wäre doch sehr sinnvoll, wenn wir dies schaffen.“

Ein großes Problem, das die Regierung unbedingt im Koalitionsprogramm bedenken müsse, sei die dramatische Situation der Gemeindefinanzen. Auch bei den Förderungen müsse man sich im Bund etwas überlegen. Beispielsweise beim Kanalbau müssen Gemeinden die Kosten vorfinanzieren, um dann jahrelang auf das Geld zu warten.

„Für die Gemeinden werden die nächsten Jahre sehr hart, viele Gemeinden können aus Geldmangel keine Investitionen mehr tätigen“, betont er. Das Gesundheitssystem als nächste Baustelle gehöre reformiert, hier sei es für viele Menschen unverständlich, warum man rund sechs Monate auf eine OP warten müsse. Aber auch beim Pflegethema sieht er die nächste Regierung gefordert.

Grüne Steiermark ganz in Blau

Weiter geht es in das nächste „blau“ eingefärbte Bundesland, die grüne Steiermark, wo demnächst Landtagswahlen stattfinden werden. Auch hier gab es in vielen Bezirken einen regen Wählerstimmen-Wechsel. Beispielsweise im Bezirk Leibnitz: Hier wählten 39,5 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner die FPÖ – der blaue Spitzenreiter in der Steiermark.

Inmitten grüner Berge und Natur, im touristisch und bäuerlich geprägten Leutschach an der Weinstraße, dem Traum aller asphaltgeplagten Städter, haben 46,6 Prozent der Wählerinnen und Wähler diesmal ihr Kreuz bei der FPÖ (+18,9 Prozent) gemacht, während die vormals stimmenstärkste Partei (ÖVP) 21 Prozent verloren hat. 

Karl-Heinz Bandur
Karl-Heinz Bandur, Vizebürgermeister von Leutschach an der Weinstraße (SPÖ): „Wir leben von den Fremden, zu uns kommen Touristen und auch immer mehr Erntehelfer. Ich kann mir nicht erklären, was die Leute so aufregt.“

Vizebürgermeister Karl-Heinz Bandur (SPÖ) kann sich den Wählerwechsel nicht ganz schlüssig erklären. „Wir sind ein Fremdenverkehrsort, mit viel Landwirtschaft. Wir leben von den Fremden, zu uns kommen Touristen und auch immer mehr Erntehelfer. Ich kann mir nicht erklären, was die Leute so aufregt.“ Es sei wohl eher ein soziales Thema, das die Wahlentscheidung beeinflusst habe. Viele Einwohnerinnen und Einwohner seien der Meinung, sie würden „verarscht“, wenn sie über die Medien mitbekommen, wie so mancher das System ausnutze. 

Dabei sollte man seiner Meinung nach die wahren Probleme angehen. So gebe es fragwürdige Fördermethoden, es würde viel zu viel gefördert, und dies nicht gerecht. Beispielsweise seien die COFAG-Förderungen während der Corona-Pandemie auch in seiner Gemeinde aus dem Ruder gelaufen und weder transparent noch gerecht vergeben worden. Mit Blick auf die künftige Bundesregierung merkt er an: „Die Gerichtsbarkeit muss Verfahren beschleunigen. Es muss eine zügigere Rechtsprechung geben.“ Denn immerhin gelten Gesetze für alle in gleichem Maße und dies müsse ohne Verzögerung durchgezogen werden.

Idyllisch und weit weg von Brennpunkten

In den Gurktaler Alpen im Norden Kärntens liegt der Bezirk Feldkirchen, die dritte Station auf der Reise durch das neu gefärbte Österreich. Hier haben 44,8 Prozent der Wählerinnen für die FPÖ gestimmt (+16,8 Prozent).  Die Bezirksgemeinde mit dem höchsten Stimmenzuwachs für die FPÖ ist Albeck (54,3 Prozent, das ist ein Plus von 16,8 Prozent). 

Wilfried Mödritsch
Wilfried Mödritsch, Bürgermeister von Albeck (ÖVP): „Wenn man jetzt in eine Regierung geht, die sich gegenseitig blockiert, dann treiben wir die Wählerinnen und Wähler den Freiheitlichen geradezu in die Arme.“

Man lebt im Ort vom Tourismus und von der Landwirtschaft. Laut Bürgermeister Wilfried Mödritsch (ÖVP) gibt es in der Gemeinde keine Ausländerthematik. Er wisse jedoch, dass es eine Neid-Debatte gebe. Es gehe immer wieder darum, was die Ausländer nicht alles kriegen. „Unsere Gemeinde ist von Haus aus stark freiheitlich. Der Verlust von minus 9,2 Prozent für die ÖVP hat sich im Vergleich zu anderen Gemeinden noch in Grenzen gehalten“, erzählt er weiter.

Über die weiteren Motive der Albeckerinnen und Albecker spricht er nachdenklich: „Die Bundesregierung hat bei der Covid-Thematik für Unmut gesorgt. Das ist für mich zwar nicht nachvollziehbar, gerade was die Isolation zu Beginn betrifft, denn bei uns macht man die Tür auf und steht im Wald.“ Richtung künftiger Regierung meint er: „Man wird sehen, was jetzt rauskommt. Besonders wichtig ist, dass es stabile Mehrheiten gibt. Wenn man jetzt in eine Regierung geht, die sich gegenseitig blockiert, dann treiben wir die Wählerinnen und Wähler den Freiheitlichen geradezu in die Arme.“

Pragmatischer Sieger und deutliche Ansagen

Markus Priess
Markus Priess, Vizebürgermeister von Albeck (FPÖ): „Das Asylthema, das Thema Zuwanderung muss endlich richtig angepackt werden und die ÖVP gehört auf die Ersatzbank.“

Albecks Vizebürgermeister Markus Priess (FPÖ) pflichtet seinem Ortschef bei, wenn es darum geht, dass die Gemeinde weit entfernt vom Brennpunkt-Thema Zuwanderung ist. Auf die Frage, welche Themen die Menschen in seiner Gemeinde am meisten beschäftigen, die auch deren Wahlentscheidung beeinflusst haben, stellt er klar: „Wir machen Politik für die Menschen. Wir haben in der Gemeinde viel weitergebracht. Zum Beispiel der Umbau des Feuerwehrhauses oder die Erneuerung der Wasserversorgung.“

Allerdings fügt er an, dass es mit dem Budget, das die Gemeinde zur Verfügung hat, schwer sei zu arbeiten. „Die Gemeinde steht finanziell mit dem Rücken zur Wand“, erklärt er weiter.

Was er sich für die künftige Regierung wünscht? „Das Asylthema, das Thema Zuwanderung muss endlich richtig angepackt werden und die ÖVP gehört auf die Ersatzbank.“ Viel zu lange habe man zusehen müssen, was in den letzten Jahrzehnten mit schwarzer Regierungsverantwortung passiert sei. 

Falls sich keine andere Koalition ausgehe, sieht er die FPÖ in einer Minderheitsregierung. Und blickt positiv auf die vielleicht bald darauffolgenden Wahlen.

Letzte Station Oberösterreich

Der Bezirk Braunau verzeichnet in Oberösterreich den höchsten Wählerzuwachs für die FPÖ, wobei man hier schon von einem durchaus hohen Niveau ausgeht. Gewinnergemeinde mit der höchsten Wählerbewegung ist der Ort St. Georgen am Fillmannsbach. Hier hat die ÖVP als vormals stimmenstärkste Partei 14,7 Prozent verloren, die FPÖ hat 13,4 Prozent gewonnen und steht mit 53,3 Prozent der Wählerstimmen nun auf dem Spitzenplatz. 

Gerhard Luger
Gerhard Luger, Bürgermeister von St. Georgen am Fillmannsbach (ÖVP): „Mir wäre es ein Anliegen, dass eine Regierung zustande kommt, die die wichtigen Themen behandelt und die nötigen Reformen auch durchführt.“

Bürgermeister Gerhard Luger (ÖVP) dazu: „Bei uns ist der freiheitliche Wähleranteil schon von Haus aus sehr hoch, so gab es einen vergleichsweise moderaten Wählerwechsel. Auf kommunaler Ebene arbeiten wir auch sehr gut mit den Vertretern der FPÖ zusammen.“ 
Die typische Stammwählerschaft sei den Parteien abhandengekommen und im Ort würden die Menschen sehr stark differenzieren, je nachdem, um welche Wahl es sich handle.

Was er der künftigen Bundesregierung ausrichtet? Man müsse jetzt genau auf die Bevölkerung schauen, was sie beschäftige. Die Rezession sei ein Thema, aber auch das Gesundheitssystem und die Pflege. „Mir wäre es ein Anliegen, dass eine Regierung zustande kommt, die die wichtigen Themen behandelt und die nötigen Reformen auch durchführt.“

Vier verschiedene Bundesländer, Bezirke und Orte. Was sie eint, ist die gleiche Tendenz, die in Österreich zu einer historisch einzigartigen Wählerbewegung geführt hat. 

Wie die künftige Regierung aussieht, ist bei Redaktionsschluss noch offen. Aber eines ist gewiss: KOMMUNAL bleibt ganz nah bei den Gemeinden.