Anpassungsbedarf beim Wahlrecht
Die Abwicklung von Wahlen ist herausfordernd. Allein in Anbetracht des Umfangs der Wahlrechtsänderungen in den letzten Jahren lässt sich eines vorweg ohne Zweifel feststellen: Die Administration und Abwicklung der Wahlen hat im Großen und Ganzen reibungslos funktioniert - dank des Engagements in den Gemeinden und dank der guten behördenübergreifenden Zusammenarbeit.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach wie vor Änderungs- und Anpassungsbedarf gibt. Das bestätigen zahlreiche Meldungen von Gemeinden, die über praktische und bürokratische Probleme berichtet und auch sogleich Vorschläge für Verbesserungen eingebracht haben.
Immer mehr Wahlkarten
Zu schaffen macht den Gemeinden insbesondere die Administration der (Brief-)Wahlkarten, deren Anteil stetig zunimmt. Im Vergleich zur Nationalratswahl 2019 wurden bei der diesjährigen Nationalratswahl gleich um 35 Prozent mehr Wahlkarten ausgestellt, insgesamt rund 1,44 Millionen. Diese im Sinne einer hohen Wahlbeteiligung durchwegs erfreuliche Entwicklung bedeutet auf Gemeindeseite jedoch einen administrativ und logistisch kaum mehr bewältigbaren Aufwand.
Die Zunahme an Wahlkarten ist auch ein enormer Kostenfaktor. So muss eine Gemeinde allein für das Porto einer einzigen Wahlkarte mit bis zu acht Euro (!) rechnen. Aus etlichen Gemeinden wurde berichtet, dass zahlreiche Stimmen ungültig waren, da die Formalitäten nicht eingehalten wurden, etwa auf die Unterschrift auf der Wahlkarte vergessen wurde.
Probleme hat es auch mit der Zustellung der Wahlkarten gegeben, insbesondere mit Auslandsbezug. Viele Wahlkarten, aber auch schon Anforderungskarten gehen schlicht am Postweg verloren.
Von zahlreichen Gemeinden wurde die Niederschwelligkeit des Zugangs zu Wahlkarten kritisiert. Viele Leute würden „sicherheitshalber“ und aus reiner Bequemlichkeit Wahlkarten beantragen – letztlich könne man sich so alle Optionen offenhalten (Briefwahl, Wahllokal, Nichtwählen), so der Tenor. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Fehlentwicklung leisten überdies die zahlreichen Aufrufe zur Wahlkartenbeantragung, die Bürger geradezu ermuntern, ohne Bedarf Wahlkarten zu beantragen.
Auch zu bedenken ist, dass sich zwar der Bürger durch die Inanspruchnahme einer Wahlkarte das Aufsuchen des Wahllokals am Wahltag erspart, er aber immer längere Wege in Kauf nehmen muss, um die hinterlegte Wahlkarte abzuholen.
So gibt es kuriose und für Bürger und Gemeinden ärgerliche Vorkommnisse: Ein Bürger beantragte mittels Anforderungskarte eine Wahlkarte und beschwerte sich im nur 500 Meter entfernten Gemeindeamt, da er die Wahlkarte aufgrund eines „gescheiterten“ Zustellversuchs im zehn Kilometer entfernten Postamt abholen durfte.
Damit auch in Zukunft Wahlen sicher und reibungslos abgewickelt werden können, ist es unabdingbar, die Wahlabwicklung weiter zu verbessern und zu vereinfachen.
Möglichkeiten der Digitalisierung
Ein großes Potenzial zur Vereinfachung schlummert im Bereich der Digitalisierung der Wahlabwicklung. Wie in anderen Bereichen auch muss natürlich immer Vorsorge gegen den Ausfall von IT-Systemen getroffen werden. Es ist aber nicht einzusehen, weswegen nach wie vor im Wahllokal handschriftliche Listen geführt werden (müssen), obwohl es auch digitale Lösungen gibt (gäbe).
Anbieten würde sich als Arbeitsplattform das Zentrale Wählerregistertool, im Wege dessen zukünftig auch Gemeindewahlergebnisse eingepflegt, ausgezählt und kommuniziert werden könnten. Das würde die Fehleranfälligkeit bei der telefonischen Übertragung reduzieren und würde auch die Auswertung beschleunigen.
In Zeiten der Digitalisierung ist es auch nicht verständlich, weswegen bei der Ausstellung von Wahlkarten Kandidatenlisten beigelegt werden und damit weiterhin Papiertiger produziert werden, die letztlich im Abfalleimer landen.
Auch wird man sich den technischen Möglichkeiten und Entwicklungen nicht verschließen können. Man wird sich mit der Frage zu beschäftigen haben, ob nicht dem Bürger – im Sinne eines niederschwelligen Zugangs und einer hohen Wahlbeteiligung – neben der Urnenwahl und der Briefwahl auch die Möglichkeit gegeben werden sollte, elektronisch seine Stimme abzugeben. Dass in elektronische Stimmabgaben ein großes Vertrauen besteht und dass die Möglichkeit auch gut angenommen wird, sieht man bei Volksbegehren. Bis zu 80 Prozent aller Stimmen bei Volksbegehren (Unterstützungserklärungen + Eintragungen) erfolgen bereits online mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (ID Austria).
Weitere Änderungsvorschläge
Wichtige Änderungsvorschläge gibt es darüber hinaus:
- Wahlkartenadressierung. Völlig unverständlich ist die Regelung, dass Briefwahlkarten, die zur Post gebracht werden, an die jeweilige Bezirkswahlbehörde adressiert sind. Nachdem die Auszählung dieser Stimmen ohnedies am Wahltag in der Gemeinde (Sprengel) stattfindet, sollten die Briefwahlkarten sogleich an die Gemeinden adressiert werden.
- Auflegung des Wählerverzeichnisses. Nachdem weiterhin die Einsichtnahme in das Verzeichnis auch außerhalb der Amtsstunden erfolgen muss, jedoch kaum jemand von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und zudem eine Einsichtnahme seit der letzten Novelle auch mittels qualifizierter elektronischer Signatur möglich wäre, sollte der Einsichtszeitraum für die physische Einsichtnahme auf die Amtsstunden beschränkt werden.
- Entschädigung der Wahlbeisitzer. Nachdem sich Wahlbeisitzer und Ersatzmitglieder zweckmäßigerweise den Wahltag aufteilen, widerspricht die in der letzten Novelle aufgenommene Regelung, wonach eine Entschädigung nur für die „Tätigkeit im vollen Umfang“ ausgezahlt wird, der gelebten Praxis. Das eigentliche Ziel, mehr Wahlbeisitzer zu rekrutieren, wird damit konterkariert.
- Ausstellung und Versendung der Wahlkarten. Infolge der engen Fristen erfolgt die Ausstellung und Versendung der Wahlkarten sehr spät. Das ist insbesondere für Auslandsösterreicher problematisch. Es ist daher zum einen notwendig, den Zeitpunkt der Einbringung der Wahlvorschläge um eine Woche vorzuverlegen. Zum anderen muss die Frist zur Beantragung generell auf Dienstag (fünfter Tag) vor der Wahl festgelegt werden.
- Eintragungszeitraum bei Volksbegehren. Die Volksbegehren in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die meisten Stimmen nicht in der Eintragungswoche (Eintragungen) erfolgen, sondern in dem bis zu zwei Jahre andauernden Unterstützungszeitraum (Unterstützungserklärungen). Darüber hinaus erfolgen die Unterstützungserklärungen (die als Eintragungen zählen) zu einem weit überwiegenden Anteil online (wie bereits oben ausgeführt). Es ist daher notwendig und legitim, den Eintragungszeitraum zu verkürzen (kein langer Tag mehr) oder überhaupt analog zur Europäischen Bürgerinitiative und mit Blick auf den langen Unterstützungszeitraum wegzulassen.
Stimmen aus den Gemeinden
Altenberg bei Linz
Mit offener Briefwahlkarte ins Wahllokal zu gehen widerspricht dem Prinzip der Wahlkarte. Es muss erlaubt werden, dass man den Wähler ersucht, den Wahlvorgang außerhalb des Wahllokales durchzuführen oder auch in der Wahlkabine, zu vermerken unter „besondere Vorkommnisse“ in der Niederschrift, aber ohne WVZ, AVZ Eintrag.
Vorschlag: Die Frist für die Wahlkartenbeantragung auf den Montag vor der Wahl setzen! Der Kostenersatz für Gemeinden muss dem Aufwand entsprechen.
E-Voting: Nicht, solange ID-Austria nicht fehlerfrei/anwenderfreundlich ist. Erst sollte es einen Testlauf in einer Gemeinde oder einem Bezirk geben.
St. Ägyd am Neuwald
In der Gemeinde entsteht unglaublicher Aufwand mit den Wahlkartenwählern aus fremden Wahlkreisen. Die Vorgangsweise ist ja bekannt … Abnahme WK, Austausch Wahlkuvert auf beige … usw.
Vorschlag: Warum darf die Wahlbehörde den Wähler nicht auffordern, dass er seine Wahlkarte als Briefwahlkarte verwenden und im Wahllokal abgeben soll? Er kann dazu ev. in einem eigenen Bereich seine Wahl vollziehen und danach die zugeklebte Wahlkarte abgeben. Würde der Wähler mit der zugeklebten WK ins Wahllokal, darf die WK natürlich entgegengenommen werden. Die abgegebenen Wahlkarten müssen von den Wahlbehörden ohnehin erfasst und auf die Stimmbezirke in den Listen der Niederschriften eingetragen werden.
Mäder
Der Verwaltungsaufwand mit den Wahlkarten ist für die Gemeinden kaum mehr tragbar. Die Auszählung ist zwar aufwändig, aber machbar. Der mit der Ausgabe der Wahlkarten verbundene Aufwand aber legt ganze Abteilungen für mehrere Wochen lahm. Die Wähler nutzen dieses Angebot aus Bequemlichkeit und nicht entsprechend der gesetzlichen Gründe.
Vorschlag. Durch nur mehr direkte Abholung mittels „Vorwahltag“ in der Gemeinde (für Ortsansässige) könnten viele Probleme (Zustellwege, spätere Nichtnutzung etc) verhindert werden. Zusätzlich reformiert gehört die „Besondere Wahlkommission“, die seit der Möglichkeit der Briefwahl nicht mehr notwendig ist. In unserer Gemeinde musste die Besondere Wahlkommission für eine Wählerin zusammentreten, die uns vor der Haustür mitgeteilt hat, dass die Briefwahlkarte von der Tochter bereits eingeworfen wurde … viel Arbeit für nichts.
Neumarkt in der Steiermark
Die fliegende Wahlbehörde sollte ersatzlos abgeschafft werden. Zumindest seit der Gemeindestrukturreform in der Steiermark ist bei uns die fliegende Wahlbehörde kein einziges Mal ausgefahren bzw. wurde nicht beantragt. Für immobile Personen besteht ohnehin die Möglichkeit der Beantragung einer Wahlkarte, die sie ohnehin auch bei der fliegenden Wahlbehörde beantragen müssten. Für wirklich kurzfristige Fälle, d.h. bei auftretender Immobilität am Wahlwochenende, ist die fliegende Wahlbehörde aufgrund der Beantragungsfrist mit Freitag vor der Wahl 12:00 Uhr ohnehin nicht verfügbar. Es ist in der Praxis daher „totes Recht“.
St. Martin im Mühlkreis
Warum muss eine unterfertigte Wahlkarte vom Wähler per Post an die Bezirkshauptmannschaft übermittelt werden und darf nicht am Gemeindeamt abgegeben werden? Alleine die Portogebühren – und da kommt auch einiges zusammen – könnte man sich ersparen. Ein Wähler, der direkt am Gemeindeamt wählt, darf ja auch die Wahlkarte gleich abgeben …
Folgen: Es ist dann notwendig, die abgegebenen Wahlkarten wieder von der BH durch die Gemeinde abzuholen – Extra-Weg! Den Wählern ist gar nicht bewusst, wie viel an Kosten und Ressourcen eine Online-Wahlkarten-Beantragung nach sich zieht – alles Geld des Steuerzahlers. Und: Die Wahlkarte ist großteils zu einem Mittel der Bequemlichkeit geworden. Es wäre schön, wenn sich der Gesetzgeber eine Lösung einfallen lassen würde!
Estland und Schweiz - E-Voting hat Wahlverhalten bislang nicht verändert
Estland ist das einzige Land, in dem die Bürger bei der Wahl zum Europaparlament online abstimmen können. Eingeführt wurde die Option schon vor fast 20 Jahren. Mehr Menschen wählen bislang aber trotzdem nicht. Zum ersten Mal konnten die Estinnen und Esten bereits 2005 online abstimmen. Es war eine Art Testballon bei Lokalwahlen. Später machten die Menschen auch bei Parlaments- und Europawahlen ihr Kreuzchen online.
Dazu müssten die Wahlberechtigten zunächst eine Software auf dem Computer herunterladen, erklärt Arne Koitmäe, Direktor des staatlichen Wahlamts: „Der Wähler identifiziert sich dann entweder mit der estnischen ID-Karte oder der mobilen ID, trifft seine Auswahl, unterzeichnet sie erneut mit der ID-Karte und überträgt dann die Stimme verschlüsselt an den Abstimmungsserver.“
Im Sommer hat das estnische Parlament ein Gesetz verabschiedet, dass das Abstimmen per Handy-App möglich macht. Der Forscher Mihkel Solvak von der Universität in Tartu erklärt: „Die App ist so designt, dass sie die jüngsten Wählerinnen und Wähler anlocken soll. Denn wir haben leider feststellen müssen, dass die nicht abstimmen.“
Bis die App zum Einsatz kommen kann, muss sie noch ganz genau auf ihre Sicherheit geprüft werden – insbesondere, da Cyberangriffe zunehmen. Bisher, so heißt es in Estland, habe es bei Online-Wahlen zum Glück keine größeren Pannen oder Zwischenfälle gegeben.
In der Schweiz ist E-Voting in vier Kantonen möglich. Allerdings erst für einen kleinen Teil der Stimmberechtigten. Im Wahlherbst 2023 kam es zu einer erfolgreichen Premiere: An den vergangenen eidgenössischen Wahlen war mit dem System der Schweizerischen Post erstmals vollständig verifizierbares E-Voting möglich. Insgesamt 4.480 Stimmberechtigte in den Kantonen Basel-Stadt, St. Gallen und Thurgau haben elektronisch gewählt, darunter vor allem Auslandsschweizerinnen und -schweizer und wenige in der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte. Anteilsmäßig heißt das: 19 Prozent der Stimmberechtigten, die zu E-Voting zugelassen waren, haben auch elektronisch gewählt.