Alexander Biach und Helmut Reindl
"Als Landarzt ist man meistens eine One-man- bzw. One-woman-Show. " Alexander Biach im Gespräch mit KOMMUNAL-Redakteur Helmut Reindl.
© Hauptverband/Harald Pecival

„Wollen Ärzte dazu bringen, Landpraxen zu übernehmen“

Alexander Biach, Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, erläutert, mit welchen neuen Modellen man Jungmedizinern die Arbeit in Landgemeinden schmackhaft machen möchte.

Es heißt immer wieder, dass es in Österreich keinen Ärztemangel gibt. Trotzdem finden viele Gemeinden keinen Arzt. Wo liegt das Problem?

Wir haben nicht zu wenige Ärzte. Die Ärztedichte in Österreich ist eine der höchsten in Europa. 99 Prozent der Kassenarztstellen sind besetzt. Dazu kommt noch eine Ergänzung der Versorgung durch Wahlärzte.

Um die Versorgungssicherheit auch in Zukunft sicherzustellen, haben wir in letzter Zeit eine Reihe von Maßnahmen gesetzt. Dazu zählt etwa die Möglichkeit, dass Ärzte von anderen Ärzten angestellt werden können. Weitere wichtige Maßnahmen sind die Einführung von Lehrarztpraxen sowie die Schaffung von Primärversorgungseinheiten (PVE).

Der Hauptverband und die Ärztekammer haben sich darauf geeinigt, dass es in Zukunft möglich sein soll, dass ein Arzt andere Ärzte anstellt. Für einen Laien klingt es seltsam, dass das bisher nicht möglich war. Was war das Problem?

Die Ärztekammer war zu Beginn der Diskussion sehr skeptisch, weil sie nicht wollte, dass Ärzte bei Wirtschaftsunternehmen angestellt werden.

Erhebungen haben dann aber gezeigt, dass junge Mediziner oft eine gewisse Scheu davor haben, selbstständig zu arbeiten. Daher haben wir uns dafür eingesetzt, dass eine Möglichkeit geschaffen wird, dass Ärzte eben nicht bei einem Unternehmen, sondern bei einem Arzt angestellt werden.

2018 wurde dann das entsprechende Gesetz beschlossen, und in einem Gesamtvertrag wurde erreicht, dass einerseits dem Wunsch der Jungärzte nach einer Anstellung Rechnung getragen wurde und anderseits die ärztliche Unabhängigkeit sichergestellt bleibt. 

Wie will man Ärzte dazu bewegen, Praxen auf dem Land zu übernehmen?

Ärzte am Land verdienen zwar oft besser als ihre Kollegen in der Stadt. Aber dafür ist man als Landarzt meistens eine One-man- bzw. One-woman-Show. In einer kleineren Gemeinde ist man oft der einzige Ansprechpartner für die Bevölkerung in allen medizinischen Fragen – und das 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche. Viele Jungärzte wollen das nicht.

Daher haben wir einerseits die Möglichkeit geschaffen, dass ein Arzt einen anderen anstellt, damit er nicht ständig die alleinige Verantwortung hat. Anderseits gibt es jetzt die Möglichkeit, dass sich Ärzte zu einer Primärversorgungseinheit zusammenschließen können. Für den ländlichen Raum sind dabei vor allem die Primärversorgungsnetzwerke interessant. Dabei bleiben die bisherigen Ordinationen bestehen, die Ärzte stimmen aber ihre Dienstzeiten aufeinander ab.

In Wien-Donaustadt steht eine PVE bereits wieder vor der Schließung. Die Gebietskrankenkasse hat den Vertrag gekündigt, weil Vertragsbestimmungen nicht eingehalten wurden. Wenn das in einer Landgemeinde passieren würde, wäre das eine Katastrophe, weil plötzlich die gesamte medizinische Versorgung wegfallen würde. Ist das System zu komplex?

Die Grundvoraussetzung, dass eine PVE funktioniert ist, dass sich die Ärzte verstehen und miteinander auskommen. Das war in der Donaustadt offensichtlich nicht der Fall was dazu geführt hat, dass der Vertrag nicht eingehalten wurde. Für diese Fälle gibt es aber ein klares Regelwerk, in dem festgelegt ist, welche Ausstiegsmöglichkeiten es gibt.

Grundsätzlich sind die PVE ein großer Erfolg. Das Modell wurde ja erst in diesem Frühjahr präsentiert, und schon jetzt gibt es österreichweit bereits 28 PVE. 

Bekanntlich kommen viele deutsche Staatsbürger zum Medizinstudium nach Österreich. Sollte man nicht versuchen, sie im Land zu halten?

Die Rektoren der Medunis in Wien, Graz und Innsbruck haben kürzlich klargestellt, dass es nicht darum geht, die Zahl der Studienplätze zu erhöhen, sondern darum, dass die Absolventen dann im Land tätig werden.

Daher sollte man Modelle entwickeln, wie man die Jungmediziner in Österreich hält – egal ob das Österreicher oder Deutsche sind. Das Landarztstipendium wäre ein solches Modell. In Deutschland gibt es das bereits, dass sich die Studenten, die ein solches Stipendium erhalten, sich verpflichten müssen, später als Landarzt tätig zu werden. Im Burgenland, Niederösterreich und der Steiermark gibt es bereits ähnliche Modelle.

Immer mehr Mediziner werden Wahlarzt, weil das finanziell interessanter ist und sie dann auch die Möglichkeit haben, sich intensiv um ihre Patienten zu kümmern. Für die Patienten kommt das teuer, weil man nur einen Teil der Kosten rückerstattet erhält

Wahlärzte erbringen gut fünf Prozent der medizinischen Leistungen und sind damit eine gute Ergänzung zum bestehenden System.

In der öffentlichen Diskussion hat man oft den Eindruck, dass man die Wahlärzte unattraktiv machen möchte. Wichtiger wäre es, den Kassenarzt attraktiver zu machen.

Es stimmt auch nicht, dass, wie oft behauptet wird, ein Wahlarzt mehr verdient als ein Kassenarzt. Allerdings ist man als Kassenarzt wahrscheinlich stärker ausgelastet. 

Junge Ärzte, die eine Praxis übernehmen wollen, stehen oft vor dem Problem, dass der Vorgänger eine hohe Ablöse möchte. Wie soll man damit umgehen?

Durch das Modell der Lehrpraxis kommen Jungärzte mit erfahrenen Medizinern zusammen und lernen, wie der Alltag in einer Ordination abläuft. Damit soll auch die Scheu genommen werden, eine Praxis zu übernehmen.

Wenn sich ein junger Arzt dann entscheidet, den Schritt in die Selbstständigkeit zu machen, gibt es eine Fülle von Finanzierungsmodellen, etwa auch Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB), die langfristige und günstige Konditionen bieten. Wenn ein junger Arzt gesehen hat, wie eine Ordination auch wirtschaftlich läuft, dann kann er sich ausrechnen, wie lange er braucht, um einen Kredit zurück zu zahlen.

Er ist ja auch so, dass viele Gemeinden bereit sind, eine Menge an Kosten zu übernehmen oder Infrastruktur bereitstellen, damit sie einen Arzt im Ort haben. 

Auf den e-Cards muss zukünftig ein Foto des Inhabers sein. Kommt da auch auf die Gemeinden Arbeit zu?

Die meisten Fotos werden aus den Passämtern und Führerscheinarchiven kommen.

Den größten Aufwand werden die Landespolizeidirektionen haben. Etwa wenn EU-Ausländer oder Nicht-EU-Ausländer eine e-Card bekommen, aber kein Foto vorhanden ist. Das wird bei rund 1,4 Millionen­­ Menschen der Fall sein. Von diesen Personen benötigen wird dann eben geeignete Fotos. Über 70-Jährige und Kinder bis 14 brauchen kein Foto für die e-Card.

Der Gemeindebund will die Schulärzte abschaffen, weil sie nichts bringen. Stattdessen soll der Mutter-Kind-Pass bis zum 18. Lebensjahr ausgedehnt werden. Was halten Sie davon?

Gesundheitspolitisch halte ich das für nicht richtig, weil man nur in der Schule alle Kinder erreicht. Allerdings muss das Schularztsystem besser werden. Etwa dass die Schulärzte kontrollieren, ob die Schülerinnen und Schüler geimpft sind.

Natürlich kann man zusätzlich den Mutter-Kind-Pass ausdehnen, aber die Schulärzte aufzulassen wäre ein katastrophaler Schritt.