Angstschnitte machen oft genug aus schattigen Waldwegen vor Hitze stöhnende Autobahnen durch den Wald.
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Knackpunkt Baumhaftung

Eine gepflegte Parklandschaft, möglichst bestanden mit ein paar schönen alten Bäumen, eine Schatten spendende Allee, grüne Inseln zwischen den Häusern – alles das sind Wahrzeichen für eine naturnahe Gemeinde. Noch dazu, wo viele Gemeinden von Wald umgeben sind. Aber den Bäumen in den Gemeinden droht neben dem Klimawandel eine weitere Gefahr: die überschießende Auslegung der Haftungsfrage.

Menschen sind Bäumen oft auf eine sehr emotionale und manchmal kaum rationale Weise zugetan.  Nicht umsonst wird fast jede Baumfällung von teils wütenden Protesten begleitet. Auch wenn die Ausgangslage noch so klar ist, beispielsweise wenn die Bäume alt und krank sind. Aber dann ist ein Fällen wenigstens zu argumentieren. Es geht nämlich nicht darum, gar keine Bäume mehr zu fällen. Aber es geht darum, mit Bäumen im Sinn einer guten ökologischen Zusammensetzung des Waldes und einer vernünftigen Nutzung durch den Menschen richtig und gut umzugehen.

Grünflächen und Parks leben von einer Durchmischung von Freiflächen und schattenspendenden Bäumen. Lebenswerte Gemeinden zeichnen sich ebenfalls durch eine Durchmischung der Häuser mit Bäumen aus – diese sollen nicht nur Schadstoffe aus der Luft filtern, sondern auch eine kühlende Funktion ausüben. Darüber hinaus sind Wälder Naherholungsgebiete, die jedermann und -frau genießen kann. Gemeinden als Gestalter der Lebensumwelt der Menschen erfüllen folglich einen Dienst für die Menschen, wenn sie Grünflächen und Bäumen Raum geben.

Entfernen von Totholz ist keine gute Idee

Aber da gibt es ein Dilemma: Bäume werden wie Menschen krank, sie können geschwächt sein, und sie können sterben. Und wenn das eintritt, können Äste abbrechen, können die Bäume entwurzelt werden, können fallen. Dieses Schema ist nichts Neues, das ist so alt wie die Bäume selbst. Gefallene Bäume, sogenanntes Totholz, sind für die ökologische und biologische Vielfalt sogar extrem wichtig, bieten sie doch zahllosen Insekten und jungen Pflanzen den nötigen Lebensraum.

Obwohl sich hier auch Schädlinge ansiedeln, überwiegt die Anzahl der Nützlinge doch bei Weitem, wie Jürgen Weber, Leiter der Abteilung Baumbegutachtung bei den Österreichischen Bundesforsten (ÖBf) erzählt: „Das Entfernen von Totholz ist an und für sich keine gute Idee. Gerade im Totholz sind sehr viele Nützlinge, die Schädlinge, andere Insekten, bekämpfen. Die Nützlinge überwiegen und man sollte Totholz deswegen nicht entfernen.“

Im Wald ist das natürlich ganz anders zu sehen als im bebauten Gebiet. Hier muss aus Gründen der Verkehrssicherheit Totholz aus den Bäumen, abgestorbene Äste zum Beispiel, entfernt werden. Aber bleiben wir vorerst bei Waldgebieten.

Eine wissenschaftliche Studie der „American Association for the Advancement of Science“ hat das Potenzial einer Aufforstung ausgerechnet. Demnach könnte die Wiederherstellung von Waldflächen auf globaler Ebene dazu beitragen, den atmosphärischen Kohlenstoff einzufangen und den Klimawandel zu mildern. Dies würde eine Zunahme der Waldfläche um mehr als 25 Prozent erfordern, einschließlich mehr als 500 Milliarden Bäume, und mehr als 200 Gigatonnen zusätzlichen Kohlenstoffs zum Zeitpunkt der Reife binden. „Zeitpunkt der Reife“ meint alte Bäume.

Aber sind die nicht gerade gefährdet, wollen wir wissen. Weber: „Im Prinzip ist es so, dass die alten Bäume in der Regel von der Standbruchsicherheit her immer sicherer werden. Ein alter Baum wird, wie es beim Menschen auch ist, immer kleiner. Und der Baum geht dann mehr in die Breite als in die Höhe. Der kann sich ausbreiten und der Baum wird vom Verhältnis her, von der Höhe zum Durchmesser, immer standsicherer. Wenn man ein hohles Rohr hernimmt und es an Durchmesser zunimmt, dann wird es auch immer sicherer. Aber wenn da nicht mehr viel an Reststärke ist, dann kann es weit ausgehöhlt sein. Da geht es darum, dass man schaut: Wächst der Baum mehr zu, als der Pilz innen wegfrisst?“

Immer mehr Angstschlägerungen oder Sicherungsschnitte

Dennoch kommt es immer wieder auch abseits bebauter Gebiete – und vor allem immer öfter – zu den sogenannten „Angstschlägerungen“ oder „Sicherungsschnitten“. Das bedeutet, dass aus Angst vor möglichen Haftungen ganze Alleen oder Baumgruppen umgelegt werden, obwohl das nicht nötig wäre. Das Resultat sind dann „Autobahnen durch die Wälder, weil auch private Besitzer 25 Meter links und rechts der Wege die Bäume fällen, damit nichts passieren kann. Und so werden aus ehemals kühlen ruhigen Waldwegen trockene Trampelpfade, die in der prallen Sonne liegen.

In dem Zusammenhang geht es auch um gar nicht so wenig Fläche: Karin Büchl-Krammerstätter und Roman David-Freihsl von der Abteilung Umweltschutz der Stadt Wien haben ausgerechnet: „Würden die ‚Angstschnitte‘ entlang aller Wege und Straßen konsequent fortgesetzt, sind insgesamt 959.029 Hektar Wald von Rodungen betroffen.“ Damit wären 24,1 Prozent der Waldbestände Österreichs gefährdet.

In dieses Horn stieß vergangenes Jahr auch Gunther Nikodem vom Linzer Baumforum bei der Fachtagung zur  „Österreichischen Baumkonvention“: „Überzogene Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab betreffend Sicherheit, aufgrund von Einzelfallentscheidungen und unklarer Judikatur, stehen den Anforderungen zeitgemäßer Baumpflege entgegen! Auch so manche Normen, Medien und sogenannte Fachmeinungen befeuern den Faktor Angst und bringen oft mehr Probleme als Lösungen.“

Ein Viertel der Wälder unterliegt der Baumhaftung

Das Umweltbundesamt hat 2019 gemeinsam mit der Stadt Wien eine umfangreiche Studie zum Thema „Baumhaftung – Baumsicherung und deren ökologische Wirkungen“ verfasst. Demnach unterliegen knapp ein Viertel der Waldfläche Österreichs und eine Vielzahl an Straßen und Parkbäumen der Baumhaftung. Das führt in der Praxis oft dazu, dass ökologisch wertvolle Einzel- und Waldbäume vorsorglich zurückgeschnitten oder gefällt werden.

Dadurch sollen Unfälle und damit verbundene Schadenersatzansprüche vermieden werden. Lösungen, um Kosten für Kommunen und Waldbe­sitze­r zu minimieren und wertvolle Bäume zu erhalten, sind z. B. Haftungsänderungen, Risikomanagement in der Baumbeurteilung und verstärkte Eigenverantwortung von Waldbesuchern.

Fachliche Lösungsansätze sind aber rar, zumindest nach den Erkenntnissen der „Baumkonvention“. Der Grund ist einfach: Die technischen Maßnahmen der Baumsicherung folgen den gesetzlichen Anforderungen.

Aufklärung kann Überreaktionen verhindern

Es kann davon ausgegangen werden, dass Baumsicherungen – sofern sie fachgerecht ausgeführt wurden – dem Stand der Technik entsprechen und die Bäume unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht über Gebühr belastet werden. Allenfalls können „Überreaktionen“ der Baumhalter wie zum Beispiel vorsorgliche Fällungen aus überspanntem Sicherheitsempfinden festgestellt werden. Diese sind wiederum meist auf rechtliche Unsicherheiten zurückzuführen. Hier könnte aber verstärkte Aufklärung und eine verbesserte Ausbildung bzw. Bewusstseinsbildung für das Fachpersonal, das mit der Baumpflege betraut ist, Abhilfe schaffen.

Aber: „Soziale Lösungsansätze betreffen Änderungen des Verhaltens von Menschen im Bereich des Sicherheitsempfindens, der Akzeptanz von Risiken und der Eigenverantwortung.“ Das sind aber Punkte, bei denen vermutlich noch viel Aufklärungsarbeit notwendig sein wird.

Messungen geben Sicherheit

Und was ist mit den Bäumen in den Dörfern? Wie lange stehen die „Dorflinden“ noch? Viele Gemeinden sind zu Recht stolz auf teils jahrhundertealte Bäume, oft am Hauptplatz oder vor der Kirche. Gerade diese Vorzeigebäume stehen oft auf belebten Plätzen und bergen für Gemeinden damit möglicherweise ein erhöhtes Gefahrenpotenzial.

Faistenau
Viele Gemeinden sind zu Recht stolz auf teils jahrhundertealte Bäume, oft am Hauptplatz oder vor der Kirche. Hier im Salzburger Faistenau.

Solche Bäume, oft sind es wirklich alte Linden, werden natürlich mit der Zeit hohl. Und da ist es angebracht, dass man mit Messungen absichert, wie viel Reststärke die Bäume noch haben. Jürgen Weber: „Unsere Erfahrung zeigt, wenn die Bäume untersucht werden, kann man auch genau nachweisen, dass der Baum noch ausreichend Sicherheit hat und das nächste Mal dann vielleicht in fünf Jahren oder so wieder untersucht werden muss“ 

Sicherheit vs. Klimawandel

Wichtig ist ein echter Baumfachmann bzw. eine Fachfrau. Bei einer Pressekonferenz Mitte Dezember zu den Herausforderungen, vor denen Bürgermeister stehen, hat Gemeindebund-Chef Alfred Riedl einen weiteren Teil dieses Dilemmas treffend auf den Punkt gebracht: „Ich muss hergehen und einen Sachverständigen anrufen. Der kommt – gegen viel Geld – und sagt nach einer Kontrolle, dass eigentlich alles o. k. sei, aber schriftlich garantiert er mir das – aus Angst vor der Haftung – nicht. Also muss ich als Gemeinde auf Nummer sicher gehen und den Baum dann doch fällen lassen. Und zwei Minuten später habe ich einen Haufen empörter Bürgerinnen und Bürger auf der Gemeinde, die sich beschweren und von Baummord reden. Und gleichzeitig reden alle von Wiederaufforstung als Mittel gegen den Klimawandel und vom Begrünen der bewohnten Gebiete als Mittel gegen die Hitze im Sommer. Im Grund ist das verrückt.“

Haftungen auf ein verträgliches Maß reduzieren

Und was ist nun die Conclusio? Wenn wir den Kampf gegen den Klimawandel ernst nehmen wollen, müssen wir an allen Schrauben drehen. Eine dieser Schrauben ist der Schutz der Bäume. Der geht aber nur, wenn wir die Gemeinden und die Waldbesitzer vor einer Amerikanisierung der Rechtsprechung bewahren und die Haftungen auf ein verträgliches Maß reduzieren. Die Arbeiten der Baumkonvention sind ein Schritt in die richtige Richtung.

Übrigens: Einen alten Baum fällen und dafür drei junge zu setzen hilft nicht viel. Die jungen Bäume brauchen Jahrzehnte, bis sie die Leistungskraft eines alten Baumes erreichen. Und das ist schlicht und einfach ein wissenschaftliches Faktum.