Walter Leiss
Walter Leiss: „Mit einer Mischung aus Debatten, Verboten, CO2-Steuern, freiwilligem Verzicht, Respekt vor anderen Haltungen und einer effizienteren Bürokratie ist die Demokratie den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen.“

Kann die Demokratie den Klimawandel stoppen?

Wer in den letzten Jahrzehnten aufmerksam das Wetter beobachtet hat, hat in den letzten Jahren Änderungen wahrgenommen. Zu Hause, in der näheren und weiteren Umgebung, ja „dank“ unserer weltweiten Vernetzung auch global. Die kalten langen Winter sind gewichen und auch die heißen Tage im Sommer haben sich vermehrt. Der gewohnte Übergang der Jahreszeiten ist gewichen: Gestern noch Sommer, heute mitten im Herbst. Für Skigebiete ohne Beschneiungsanlagen ist der Winter zum Risikounternehmen geworden und ohne künstliche Bewässerung kann kaum noch Landwirtschaft betrieben werden. Dass der Mensch neben anderen Faktoren dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet hat, steht außer Zweifel. Dass die Menschheit dagegen etwas tun muss, steht auch außer Zweifel.

Und dass die entwickelten Industriestaaten mehr gefordert sind als die Schwellen- und Entwicklungsländer, darf auch nicht bezweifelt werden. Die Politik ist gefordert. Das Thema ist auch nicht erst seit der Fridays-for-Future-Bewegung für die Politik von Bedeutung.

Zahlreiche Initiativen wurden gesetzt, internationale Abkommen abgeschlossen, leider aber, wie jüngst von manchen Staaten (Vereinigte Staaten), wieder aufgekündigt. Dabei wird sich das Thema nur global lösen lassen. Auch wenn jüngste Berichte zu Optimismus Anlass geben  – rund die Hälfte der G20-Staaten, darunter die EU, dürften ihre bisherigen selbstgesteckten Klimaziele übererfüllen, bleibt zu bemerken, dass es Klimaforschern zufolge bis Ende des Jahrhunderts drei Grad wärmer werden wird. Aber auch jeder Einzelne muss seinen Beitrag leisten, sein Verhalten ändern und auch bereit sein, Maßnahmen zu akzeptieren oder zu dulden. Das ist vielleicht durch die Fridays-for-Future-Bewegung auch in der Bevölkerung angekommen. 

Klimaschutz ohne höhere Benzinpreise?

Folgt man allerdings Aussagen von Klimaexperten wie Hans von Storch (Max-Planck-Institut in Berlin) im Spiegel Nr. 43/2019, ist das auch noch nicht wirklich so. Er verweist auf eine Umfrage in Deutschland, wonach den Deutschen die Maßnahmen für Klimaschutz nicht weit genug gehen. Doch in derselben Umfrage spricht sich die Mehrheit gegen höhere Benzin- und Heizölpreise aus. Nach seiner Meinung passt das nicht zusammen. Hier hat er wohl recht.

Ähnlich verhält es sich, wenn es um die nachhaltige Stromerzeugung oder um die Stromleitung geht, die für Verteilung des grünen Stroms erforderlich ist. Jeder ist doch für „grünen Strom“, aber ein Anbieterwechsel kommt nicht infrage. Gegen neue Wasserkraftanlagen wird demonstriert und nur gegen viel Widerstand ließ sich das Wasserkraftwerk an der Mur in Graz realisieren. Gegen neue Windkraftanlagen wird in Bürgerbefragungen gestimmt, oder sie werden überhaupt von Verwaltungsgerichten und Gutachtern abgelehnt.

Seit mehr als vier Jahren liegt ein Projekt für die Errichtung eines Windparks Stubalpe in der Steiermark vor. Alle Instanzen wurden durchlaufen, und das Verfahren landet vor dem Bundesverwaltungsgerichtshof. Hier kommt der Gerichtsgutachter, so die Kleine Zeitung am 5. 10. 2019, zu dem Ergebnis, dass die Belastungen durch die geplante Anlage für das Landschaftsschutzgebiet „Amering – Stubalpe“ nachhaltig wären und daher untragbar seien.

Photovoltaikanlagen geht es nicht besser. Langwierige und komplizierte Genehmigungsverfahren, Widersprüche zu Ortschafts-Landschaftsbild sind vorprogrammiert. Innovative Projekte wie schwimmende Photovoltaikanlagen drohen am Wasserrecht und Naturschutzgesetz zu scheitern. So was hat es ja noch nie gegeben und ist mit unseren Gesetzen nicht vereinbar. Also lieber einmal ablehnen. Es muss doch wohl auch anders gehen.

Atomstrom statt Kohle?

Viele Staaten setzen dabei auf Atomstrom. Frankreich und Belgien zum Beispiel, die nachhaltig Strom produzieren und auch in den Statistiken damit vor Österreich liegen. In Helsinki wird ein in der Stadt gelegenes Kohlekraftwerk bis 2025 vom Netz genommen und durch ein weiteres Atomkraftwerk ersetzt. Das mag durch die Akzeptanz der Bürger vielleicht der einfachere Weg sein, ob er langfristig nachhaltiger ist, darf allerdings bezweifelt werden. Für Österreich und auch Deutschland wohl nicht akzeptabel.

Unsere Gesetze müssen daher überarbeitet werden. In demokratischen Prozessen und unter Abwägung von lokalen Bürgerinteressen und nationalen, ja globalen Interessen. Ist der Landschaftsschutz wichtiger als eine nachhaltige Energieproduktion? Sind das Wasserrecht und die Naturschutzgesetze noch geeignet, um die Nutzung von Wasserkraft oder die Anbringung von schwimmenden Photovoltaikanlagen oder die Montage von Windrädern zu ermöglichen? Sind unsere Bauordnungen samt Bebauungsplänen geeignet, Fassaden mit Photovoltaikanlagen zuzulassen? Es sollte nicht den Gerichten überlasen bleiben, diese Interessensabwägung vorzunehmen, sondern der Gesetzgeber ist dazu gefordert.

Ökodiktatur statt Demokratie

Von einigen wird allerdings schon bezweifelt, dass die Demokratien dazu in der Lage sind. Roger Hallam, der Mitbegründer der „Extinction Rebellion“-Bewegung bringt es auf den Punkt „Wenn die Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird sie irrelevant“ (Spiegel Nr. 43/1019). Denn dieses Thema sei größer als die Demokratie.

„Lieber eine Ökodiktatur als eine überhitzte Erde“ titelt Dirk Kurbjuweit in seinem Essay „Die Demokratie schafft das“.

Wollen wir unsere demokratischen Errungenschaften aufgeben? Es berührt Fragen der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Selbstverwirklichung – alles Fragen, die in Demokratien eine große Rolle spielen. Neben vielen anderen Stimmen in diesem Artikel kommt es zum Ergebnis, dass man die Demokratie nicht aufgeben müsse, um die richtigen Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu treffen. Allerdings kommt auch er zum Ergebnis, dass „mit einer Mischung aus Debatten, Verboten, CO2-Steuern, freiwilligem Verzicht, Respekt vor anderen Haltungen und einer effizienteren Bürokratie die Demokratie den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen ist und dabei Demokratie bleibt“.

Dem ist nicht viel hinzuzufügen, außer dass es gemacht werden muss.